Liebe Freunde,
heute wollte ich es mir einfach mal gut gehen lassen und hab
mir eine neue Schutzmaske gegönnt. Ich hab so ein Modell mit einem
eingearbeiteten Draht, da kann man die Maske perfekt an die eigene Nasengröße
anpassen. Das ist total hilfreich, so kann man verhindern, dass beim Ausatmen
ein Großteil der Luft nach oben entweicht, einem die Sonnenbrille beschlägt und
man halbblind auf der Straße herumtorkelt.
Mit glasklaren Blick und einem konkreten Auftrag wagte ich
mich ins Zentrum unseres Viertels. Die Mortadella war ausgegangen und der
Fleischer meines Vertrauens hat die beste Mortadella weit und breit. Das sagt
er auch immer, wenn er die Mortadella aufschneidet, ‚Aahhh, so eine gute
Mortadella, buonissima’. Wie immer lächelte er breit über sein sonnengebräuntes
Gesicht, seine Goldketterln schepperten über seinem Fleischerbauch und weil er
es ja gut mit einem meint, schnitt er gleich 300 anstatt der bestellen 200
Gramm auf. Er meint es immer gut mit einem, bestellt man ein Kilo bekommt man
zwei, will man ein Stück Käse und er zeigt dann mit dem Schneidemesser die
vorgesehene Schnittstelle an, entscheidet er sich im letzten Moment für einen
und schneidet einem ein viel großzügigeres Stück ab und lacht einem herzlich
ins Gesicht, alle lachen auch immer retour, keiner hat sich je beschwert. Der
Fleischer ist auch mehr wie ein Fleischer, er ist ein Freund, ein ewiger
Pfadfinderführer, der einem hilft, das Auto zu finden, wenn es geklaut wurde
oder freundlich aber bestimmt mit dem Nachbarn ein ernstes Wörtchen redet, wenn
der schon wieder die Müllsäcke vor die Einfahrt gestellt hat. Bei ihm ist auch
alles super, die Kassa aus Mahagoni, der Cognac hinter Kristallglas und in den
Vitrinen hat er auch das rote Licht, dass auch der älteste Brocken Fleisch noch
frisch ausschaut. Kein Wunder, dass bei ihm die Geschäfte besser laufen als bei
seinem hageren und blassen Fleischernachbarn gleich ums Eck, bei dem die Fliesen
von den Wänden bröckeln und das grünlich blinkende Neonlicht nur zu deutlich
macht, dass er höchsten alle paar Tage eine Scheibe von seiner Mortadella
schneidet, so angeranzt ist die schon am Eck.
Auch heute war es wieder so, bei ihm volle Hütte, beim
Nachbarn tote Hose. Man fühlte sich bei ihm wie immer und plötzlich verklebte
sich dieser Gedanke in meinem Gehirn zu einem Angstklotz. OH GOTT, ES IST SO
WIE IMMER. Seine Goldzähne im Grinsegesicht sehe ich ja nur, da er keine Maske
trägt. Mit beklemmenden Gefühl verließ ich den Fleischerladen und musste nun an
mir selbst erleben, dass mein Körper und vor allem mein Hirn mit einer solchen Stresssituationen
nicht richtig umgehen kann. Als Gegenreaktion sang ich auf dem ganzen
Nachhauseweg in Dauerschleife
‚Wenn das so weiter
geht
bis morgen früh ja
früh
steh’n wir im Alkohol
bis an die Knie.’
Zuhause angekommen, entdeckte ich bei meiner Recherche, dass
es noch eine zweite Strophe gibt:
Wenn das so weitergeht
im nächsten Jahr
ham wir´s Delirium
Hallelujah
im nächsten Jahr
ham wir´s Delirium
Hallelujah
Diese Strophe ist dem 1930 erschienen Roman ‚Vaterlandlose
Gesellen’ des Arbeiterschriftstellers Adam Scharrer entlehnt und wird
eigentlich nie gesungen. Trotzdem kam ich aus meiner Bierzeltlaune nicht mehr
heraus und habe für alle, die heute Abend um 19:30 Uhr auch mit mir beim Zoom Wohl Meeting anstoßen wollen schon
mal die richtige Musik zum einschunkeln:
Wer die Rückseite der Platte bis zu Ende hört, kommt auch in
den Genuss der prophetischen Textzeile:
Am 30. Mai ist Weltuntergang,
wir leben nicht mehr lang,
wir leben nicht mehr lang.
Zoom Wohl
Jürgen Weishäupl
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