Wien, Montag 27. April 2020


Liebe Freunde,

ich bin am Samstag mit dem Auto von Palermo nach Wien gefahren. Ich bin ein paar Mal stehen geblieben um zu tanken, um meine Autocertificazione zu zeigen, um Grenzen zu übertreten, um einen Corona-Test zu machen und um mein Handy aus einem See zu fischen.

Ich bin gesund in Wien angekommen. Irgendwann werden wir uns wiedersehen.

aloha

Jürgen

Palermo, Freitag 24. April 2020


Liebe Freunde,

das Weltgeschehen ist eine lange Liste von Fragen, die dann irgendwie beantwortet werden. Zum Beispiel: Wohin gehe ich heute mit meinem Hund Gassi? Die Frage wird sicher beantwortet. Oder: Dürfen Schauspieler auf der Bühne küssen, wenn sie in einem Haushalt leben? Oder: Kann man mit der Kraft des Geistes seinen eigenen Haarwuchs stoppen? Oder: Was tun wir jetzt mit dem Auto?

Die Frage kam von meiner Schwiegermutter und sie meinte den Mega-Pick-Up meines Schwiegervaters. Und weiter, ‚wenn Du ihn brauchst, nimm ihn’. Ich sagte ‚OK, sehr nett, aber ich hab ja ein Auto in Wien’. ‚Dann also Verkaufen’, meinte sie und ich bot an mit dem Händler zu reden, bei dem mein Schwiegervater einst den Wagen gekauft hatte.

Das war ein guter Grund, wenn auch ein relativ hoffnungsloser, denn Autogeschäfte dürfen nicht öffnen, aber das Geschäft liegt direkt am Hafen, das ist einfach eine gute Gegend. Und wie ich schon vermutet hatte, war das Geschäft geschlossen jedoch der Besitzer stand davor. Sofort erinnerte er sich an meinen Schwiegervater, an seine Freunde und anscheinend sogar an mich. Der Autoverkäufer ist sehr elegant, mit Schnauzer, so ein Clark Gable-Typ und ist 76 Jahre alt, wie er mir später unter jubilierendem Herumgehupfe anvertraute. Und er ist ungefähr 140 groß, eine Art Bonsai-Gable.

Er schaute sich das Auto an, ‚leider verkratzt’, sagte er, als wäre es sein eigenes. Es tat mir selber leid für ihn und dann ging das ganze Gelaber los, wo er am Ende sagte, also 4000 könnte er mir geben, wenn er es verkauft, ja wenn, wer weiß, Corona, schlimme Zeiten, Geschäft geschlossen, ja wenn und wer weiß wann, ja wann, wer weiß das schon. Ich wusste es auch nicht und Schulter zuckend lächelten wir uns an.  Ich soll am Nachmittag wieder kommen, dann würde sein Sohn Fotos machen. ‚Ich bin ja nur der Mittler’, sagte ich, ich werde es meiner Schwiegermutter ausrichten.

Der Sohn war ein typischer Palermo-Verschnitt aus Rocker mit Anleihen aus Punk und Top Gun. Seine Sonnenbrille nahm er nur ab, um den Tachostand zu kontrollieren. Wie sich herausstellte, war er Anfang der 90er nach Berlin gegangen und um mir irgendwie verständlich zu machen, was er dort wohl alles erlebt in den besetzten Häusern hat, bewegte er seine rechte Hand ungefähr einen Meter auf und ab und sagte dann lange und ansteigend: ‚OOOOOOHHHHHH.’ Und dann ein kurzes MIIIIH. Das ist die Abkürzung für ‚minchia’, was männlicher Schwanz bedeutet. Dann schaltete er blitzschnell in ein scharfes ‚Jawohl’ um, und das darauffolgende grelle Lachen ging dann in einen eher härteren Raucherhusten über. Als er sich wieder von den Knien erhob, räusperte er sich brodelnd einen enormen Halsschleim zusammen und ich dachte, jetzt spuckt er gleich einen riesigen grünen Batzen auf den Gehsteig. Ein bisschen beschämt, weil er merkte, dass ich ihn ertappt hatte, lächelte er mich an und schluckte den Brocken hinunter.

Eigentlich hätte ich jetzt heute hin fahren sollen, um den Wagen einem potentiellen Kunden zu zeigen, aber jetzt brauche ich ihn doch selber. Ich fahr nach Wien.

aloha

Jürgen

Palermo, Sonntag 17. April 2020

Liebe Freunde,

zum Auftakt von #weact habe ich ja meine Liebe zur südlichen Bürokratie beschrieben und Bettina wollte jetzt von mir eine neue Erzählung aus meinem Exil. Der Idioten-Blogeintrag von Feuerwehrfesten war ihr aber scheinbar zu hart für das zarte Vorarlberger Gemüt, die sexuellen Sonderlichkeiten meines Zwergdackels wohl zu wenig interessant und darum schreibe ich jetzt einen neuen über italienischen Salat.

Es gibt ja die verschiedensten Zeittheorien. Wenn ich jetzt zum Beispiel sag, dass die Zeit seit dem Lockdown wie im Flug vergangen ist, dann bedeutet das, dass es mir in der Nachbetrachtung nur wie ein paar Tage vorkommt, aber das nur aus dem Grund, da ich die Tage in meiner Erinnerung nicht voneinander unterscheiden kann. Seit ich nun vor knapp einem Monat von Dornbirn nach Palermo geflüchtet bin, fühlen sich viele Abende so an, aber nur ganz wenige Tage. Im Land der Balkonsänger ist immer etwas los.

Auch in Palermo sind wir jetzt nach Ostern in die begehrte Phase 2 upgegradet worden. Jetzt dürfen auch Kinderbekleidungsgeschäfte wieder öffnen, sonst lernen die Kleinen das Dauerkonsumieren ja nie, und auch Büchereien und Textilreinigungen dürfen wieder aufsperren. Schon in Phase 1 gab es aber in Italien ein anderes Verständnis von ‚absolut zum Überleben wichtig’ als in Österreich. Tierhandlungen zum Beispiel oder Baumärkte und Parfümerien. Das wird wohl an der ‚italienischen Dusche’ liegen, erörterte ich mit meinen italienischen Freunden. Da dies in Italien aber kein Begriff ist, erklärte ich Ihnen, dass dies im Deutschen heißt, man wäscht sich nicht, sondern parfümiert sich nur ein. Das kommt hier als nationale Beleidigung an, wir Deutschen wären die Hygieneferkel, würden immer stinken, uns nie waschen und die gleichen Socken eine Woche tragen, ja uns Deutsche könne man schon um die Ecke riechen. Obwohl sie wissen, dass man Österreicher ist, wird man in der Beschimpfung in den Sammelbegriff ‚Crucco’ miteinbezogen, da sind alle mit drin, die Deutsch reden. Eine ähnlich heftige Reaktion bekommt man, wenn man ihnen erzählt, was wir als italienischen Salat bezeichnen, der heißt hier russischer Salat. Leonerwurstwürfel und Erbsen mit Mayonnaise überschütten: dass eine solche kulinarische Verirrung mit Italien assoziiert wird, das bringt einen Italiener auf die Palme. Man muss sagen, auch bei uns hat der italienische Salat seine Blütezeit schon hinter sich. Ich kann mich an Jeder-bringt-was-zum-Essen-oder-Trinken-Partys in meiner Jugend erinnern, wo sich die italienischen Salate auf dem Buffettisch stapelten.

Aber Partys sind ja momentan sowieso verboten, auch hier in Palermo. Um das zu kontrollieren, fliegen sie hier den ganzen Tag mit Hubschraubern herum, damit nur ja keine Flachdachparties organisiert werden. Aber Palermitaner waren immer schon die Meister des Improvisierens. Und so verwendet man hier Feuerwerkskörper, schießt auf die Hubschrauber und die sind dann weg.

https://youtu.be/bSIEs8ARta4

aloha

Jürgen

Palermo, Ostersonntag, 12. April 2020



Liebe Freunde,

meist sind es ja Schmetterlinge in Brasilien, die dann Tornados in den USA auslösen. Dann gibt es Fledermäuse in China, die zu weltweiten Maskierungen führen. In meinem Fall war es der Regen im Oktober 1992 in Florenz, der mein diesjähriges Ostergeschenk auslöste. So nenne ich nun den hässlichsten Roller, den Piaggio je gebaut hat, mein eigen. Es handelt sich um den Piaggio Super Hexagon GTX 180, ein sogenannter Sofaroller aus dem Jahr 2000, der dem Toten aus der WG meiner Schwiegermutter gehörte.

1992 begann super. Ich hatte in meinem Zirkusbüro einen tragbaren Computer, ein tragbares Telefon, einen tragbaren Drucker und vor allem ein tragbares Faxgerät. Man war dann, was man heute mobil nennt, smart war es jedenfalls nicht – dafür aber meine Entscheidung, mein Herbstsemester anstatt in Wien in Florenz zu verbringen, um des Italienischen mächtig zu werden.

In Florenz lebte ich mich relativ schnell ein: coole WG, süße florentinische Freundin, strenge Italienischschule und lukrativer Marktjob auf Provisionsbasis, man musste deutschen Touristen Plastikjacken als Lederjacken verkaufen. Mein Boss hatte dazu ein geniales Verkaufsmodell ersonnen. Er hatte super Lederjacken. Die Deutschen kamen und ich ließ sie das tolle Leder fühlen, sie konnten die Verarbeitung anschauen, am Leder riechen und dann die Lederjacke probieren. Doch die hatte der Boss so schneidern lassen, dass sie keinem passen konnte. Entweder urlange Ärmel, oder viel zu breite Schultern oder an der Taille zu eng. Sofort hatte ich dann natürlich eine passende Lederjacke vom selben Modell zur Hand und die Deutschen konnten sich im Spiegel gar nicht satt sehen an ihrem Ebenbild in solch einer tollen Lederjacke. Nur war die dann aus Plastik, was die Deutschen aber nicht merkten, da sie ja die Qualität an der unpassenden schon geprüft hatten und sich jetzt nur noch im Spiegel betrachteten. Dann wollen sie die Jacke natürlich kaufen, müssen dann aber den Preis verhandeln, weil das im Reiseführer so drinnen steht, dass man in Italien den Preis verhandelt, vor allem am Markt. Das ist für die immer die größte Qual, da steht dann die Frau, der Freund oder gleich die ganze Reisegruppe daneben und lauscht zu, ob der jetzt das Verhandeln kann oder nicht. Man hörte das Raunen, wenn ich nach dem ersten vom Deutschen genannten Preis die Lederjacke – eigentlich ja die Plastikjacke – einfach wieder aufhängte und ‚Arrivederci’ sagte – und der Boss kam und weiter verhandelte. Bei fünf Prozent Nachlass klopften sie sich dann gegenseitig auf die Schulter, von wegen hartem Verhandeln, aber coole Lederjacke.

Und dann begann der Regen, der Dauerregen, der dazu führte das Florenz zu großen Teilen unter Wasser stand. Ich packte meine Sachen, ging zum Bahnhof, kaufte mir eine Zeitung, schaute wo es in Italien am wärmsten war und kaufte mir ein Ticket nach Palermo.

Und wegen diesem Floretiner Regen suchte ich heuer statt Ostereiern im Garten einen Sofarollerschlüssel im Zimmer eines Toten, denn wegen seiner Schulden wollten die Erben das Erbe nicht antreten, und dann gehören seine Sachen scheinbar dem, bei dem sie sind. Bei Ostereiern geht die Suche immer gut aus, ich kann mich an keine Ostern erinnern, wo ich die Eier nicht gefunden hätte. Aber dieser verdammte Sofarollerschlüssel war nirgends zu finden. Er wird ihn doch hoffentlich nicht eingesteckt haben? Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los, aber ihn deswegen wieder ausbuddeln zu lassen, wäre doch ein wenig übertrieben, dachte ich mir. So bleibt mir nichts als die Vorfreude auf eine schöne Ausfahrt mit meiner Piaggio Super Hexagon GTX 180 und ich hoffe, die wird genau so schön wie mit meiner alten Vespa, die mir leider gestohlen wurde. Wie schön das war:


Frohe Ostern.

Jürgen

Palermo, Mittwoch, 8. April 2020



Liebe Freunde,

Hunde und Polizisten haben mehr gemein, als man auf den ersten Blick annehmen könnte: beide suchen sie gern nach Drogen und grüßen zurück. Das wurde mir heute bewusst. Hunde bellen zurück und Polizisten salutieren zurück. Bei meinen Flanierrunden durch die Wiener Innenstadt ist das einer meiner großen Freuden: Polizisten salutieren. Am freundlichsten salutieren immer die vor Ministerien Wache stehenden Polizisten zurück. Das ist denen ein Reflex, dem sie sich nicht entziehen können – aber noch nie ist mir passiert, dass mir ein Polizist aktiv salutierte, bis jetzt, in Palermo.

‚Autos müssen bewegt wegen.’ Meine Schwiegermutter gab heute diesen Slogan so resolut aus, als würde sie auf der Pay-Roll der Automobilindustrie stehen. Alle drei Autoschlüssel drückte sie mir in die Hand. ‚Ein Wahnsinn, wegen diesem Coronavirus fahren nicht mal die Autos’ und sie erzählte mir von ihrem wunderschönen Traum, den sie hatte: sie wäre im Stau gestanden. Ich starte also den Smart, fuhr ein wenig vor, ein wenig zurück, startete den Yaris, fuhr ein wenig vor und ein wenig zurück, startete den Nissan Megageländewagen meines Schwiegervaters und fuhr los. Das Gefühl im Wagen ist wie auf einem Traktor: die Räder sind ungefähr gleich groß, es ruckelt sanft, man hört die Schläge der Kolben – und beim Fahren durch die Gassen von Palermo muss man nie stoppen, denn hier gilt das Recht des Stärkeren. Es ist ja eigentlich der Jagdwagen meines Schwiegervaters. Ich erinnerte mich zurück, wie ich mit Sperrdifferential die steilsten Hänge in seinem Jagdgebiet hochradierte und er vom Beifahrersitz aus die Vögel vom Himmel ballerte, da war grad Rotkehlchensaison. Die schmecken super und er gratulierte auch meinem Vater bei seinem ersten Besuch in Vorarlberg für seine Falle; mein Vater hatte beim Küchenfenster ein Vogelfutterhaus installiert. Wir mussten meinem Schwiegervater dann erklären, dass man im Ländle die Rotkehlchen anschaut, aber nicht isst. Direkt am Küchenfenster aufgebaut, war das für meinen Schwiegervater nur schwer verständlich.

Heute war ich aber nicht auf Jagd, sondern wollte einfach nur ans Meer. Obwohl eigentlich kein Verkehr war, ging das nur im Schritttempo, da ich hinter einem von der Polizei begleiteten Durchsage-LKW gelandet war. Direkte Straßenkommunikation ist in Palermo sehr beliebt, ob man Gemüse aus seiner APE heraus verkauft, ein mobiles Messerschleifgerät mit sich herum führt oder zu einem Theaterabend einladen möchte: man schreit das gern über mehrere Megaphone in die Straßen hinein, Street-Marketing; ‚Bleibt zu Hause’, war heut die Message:

Ich kam dann doch irgendwie zum Meer und auf dem Weg zurück in eine Polizeikontrolle. Der Polizist übernahm die Begrüßung und salutierte, ich salutierte reflexhaft zurück. Nachdem ich ihm die geforderten Fahrzeugpapiere, den Führerschein und die Autocertificazione – also die Selbstbestätigung – übergab, meinte er: ‚Ah, Sie sind Deutscher’. Innerlich brodelnd antwortete ich in süßlichstem palermitanischem Dialekt: ‚Nein, ich bin Österreicher’. Der Polizist grinste mich jetzt freudig an, und das war auch gut so, denn es gab gleich mehrere Probleme. Die Selbstbestätigungsvorlage des Innenministeriums, die ich mir am Tag meiner Ankunft ausgefüllt hatte, war nicht mehr gültig. Es gibt nämlich mittlerweile eine neue Selbstbestätigungsvorlage, er zeigte sie mir und leider war das wirklich ein ästhetischer Rückschritt, denn es gibt auf der neuen zwar noch ein paar Felder mehr zum Ankreuzen, aber kein schönes Riesenlogo vom Innenministerium mehr. Das wäre gar kein Problem, sie würden jetzt einfach für mich die alte Selbstbestätigung auf das neue Formular übertragen, versicherte mir der Polizist. Damit reichte er der Politesse meine ganzen Unterlagen und erzählte mir in der Wartezeit, wie schön Wien wäre, dass er schon zweimal dort gewesen wäre: einmal mit Freunden und einmal mit seiner Frau, wobei er mir mit einem unmissverständlichen Gesichtsausdruck zu verstehen gab, dass der Besuch ohne Frau wahrscheinlich der mit höherem Erinnerungswert war. Weil wir uns jetzt so gut verstanden, war dem Polizist der Sicherheitsabstand wurscht, er lehnte sich an mein geöffnetes Fenster und wollte mir gerade Details seines ersten Wienaufenthaltes erzählen, als uns die Politesse mit der Bemerkung störte, ich hätte ‚Filmen und Einkaufen’ als Grund für mein Außer-Haus-Sein angeben. ‚Warum filmen?’ Ich hätte einen Blog, sagte ich. Dann ist er also ein Journalist, sagt der Polizist zur Politesse. Dann brauche ich seinen Journalistenausweis, sagte die Politesse zum Polizist. So was gibt es bei uns in Österreich nicht, sagte ich zum Polizist. Dann streichen wir halt von der Selbstbestätigung ‚Filmen’ und schreiben nur ‚Einkaufen’, sagt der Polizist zur Politesse. Das tat sie. Der Polizist und ich grinsten uns noch einmal zu, salutierten und dann fuhr ich heim.

Jürgen Weishäupl



Palermo, Sonntag 5. April 2020


Liebe Freunde,

jetzt sitz ich auf meiner Insel im Mittelmeer und denke plötzlich an Zuhause, ans Hoamatle, oh Hoamatle. Dabei schau ich mir die ganzen Kinderfotos meiner Schulfreunde auf Facebook an, wo überall drunter steht ‚Challenge angenommen’. Oh Gott, denke ich, schon wieder eine Challenge und denke verängstigt daran zurück, als mich der Bürgermeister von Triest in so einer Challenge nannte und ich mir zum Gaudium der lokalen Medien einen Eiskübel über den Kopf schütten musste. Jetzt könnte ich nicht mal teilnehmen, meine Kinderfotoalben sind ja alle daheim. Da bleibt einem nichts anderes übrig als ohne Fotos in den Kindheitserinnerungen zu stöbern. Und da fallen mir sofort Feuerwehrfeste ein. Die gab es in meiner Kindheit zuhauf. Man nannte einfach alles Feuerfest, egal ob es jetzt das ‚Zeltfest des FC Unterfeld’ oder das ‚Zeltfest der Lauteracher Pfadfinder war’, man sagte einfach immer ‚Feuerfest’. Das steht für Qualität und ist wahrscheinlich ähnlich wie beim Papiertaschentuch. Da sagt man auch ‚Hosch a Tempo?’ und setzt verwundert hinzu ‚Oh, it’s a Feh’.  Feuerwehrfeste verbinde ich sofort mit dem Song ‚Frau Meier’

Frau Meier, Frau Meier,
hot gelbe Unterhosen an,
mit rote Mascherln dran,
ja das ist schön.

Das Lied entfachte schon in meiner Kindheit die wildesten Fantasien, das mit der gelben Unterhose konnte ich mir vorstellen – aber wo sind dann dort die roten Mascherl dran? Bis heute grüble ich darüber nach. Außer an gelbe Unterhosen denke ich bei Feuerwehrfesten auch immer an unseren Dorftrottel. Also wir hatten eigentlich zwei Dorftrottel, der eine ging immer auf Feuerfeste, der andere immer in die Sonntagsmesse. Der, der auf die Feuerwehrfeste ging, konnte reden und war groß, sehr groß, er hatte rote Haare und einen immer roten Kopf: daher nannte man ihn auch den Sozi. Andere Zuschreibungen wie Mostschädel oder Suffkopf verband ich daher viele Jahre lang mit dem Sozialismus. Während also der Sozi riesengroß war, war der andere Dorftrottel, klein, sehr klein sogar und redete nicht. Wenn er mal einen Laut von sich gab, dann war das irgendein unverständliches Gebrummel. Meine Großmutter erklärte mir auch, was passiert war: Als er klein war, wurde er von einem Auto überfahren und da ist ihm das Hirn ausgeronnen und weil sie im Krankenhaus kein menschliches Hirn hatten, hat man ihm dann ein Kalbshirn hineingegeben. Darum heißt er auch Kalb. Eh logisch. Darum kann er auch nicht mehr reden, sondern das ist also ein Muhen. Doch das tat er fast nie, wenn man ihn grüßte, hat er nie zurückgemuht, das tat er nur, wenn wir ihn mit Steinschleudern beschossen. Dann hüpfe er auf seinen Hinterfüßen herum und muhte uns zu.

Der Sozi dafür redete gerne und immer. Auch, wenn er ganz allein war, lange bevor es Handys gab. Er war auch richtig beliebt. Wenn er auf ein Feuerwehrfest kam, dann gab es gleich ein Gegröle und alle winkten ihm zu. Egal wo er sich hinsetzte, man spendierte ihm sofort ein Bier. Einmal setzte er sich zu uns an den Tisch und ich kratzte mein Taschengeld zusammen und kaufte ihm ein Bier, weil ich dachte das gehört sich so. In der Musikpause schob man dann den Sozi immer auf Bühne, und dort wo vorher der Bürgermeister das Feuerfest eingeweiht hatte, durfte dann der Sozi reden. An den Inhalt der Reden kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das ganze Feuerwehrzelt konnte sich vor lauter Lachen nicht halten. Das wurde nur noch gesteigert, wenn es ihn von der Bühne runtergebrackt hatte, das passierte immer wieder mal, dann musste man den Sozi aus dem Schlamm ziehen – und er bekam unter großem Beifall ein nächstes Bier.

Prost



Jürgen Weishäupl

Palermo, Donnerstag 2. April 2020



Liebe Freunde,

wer sich ein wenig mit Fußball auskennt, der kennt sich jetzt aus: ab Mai bis Juni werden die nationalen Liegen gespielt, von Juli bis August die internationalen. Das wär jetzt mal geregelt, dachte ich mir bei einem vorgezogenen Fußballbier auf dem Südbalkon. Der Südbalkon hat einen großen Nachteil: er ist schmal. Die Terrasse hat einen großen Vorteil: sie ist groß, sehr groß. Meist verbringe ich die Zeit auf der Terrasse, belle dort in der Freizeit und lächle während der Arbeitszeit hämisch in die Videokonferenzen, wenn die anderen im Hintergrund mit Schneegestöber und ich mit Blüten dasitze. Auf der Terrasse ist es angenehm kühl, sie geht Richtung Norden und man kann dort gut arbeiten, oder eben bellen. Jetzt ist es aber in Palermo ein wenig kühl geworden, zu kühl für lange Arbeitssessions auf der Terrasse und darum ziehe ich mich immer wieder auf den Südbalkon zurück, lasse mich ein wenig von der Sonne aufwärmen, rauche eine Zigarette, nehm einen Kaffee, hör ein wenig Musik und blöderweise hab ich gestern auch dort mit dem Bellen angefangen.

Der Südbalkon geht zur Stadtautobahn, darum geht man dort eigentlich nie hinaus; der Lärm, die Abgase, die Huperei, alles ein Wahnsinn. Aber jetzt, dank Corona, sachtes Dahinbrummen von manchmal auftauchenden Autos und fast schon übertriebenes Vogelgezwitscher. Anstatt einfach gemütlich dort zu sitzen und die Sonne zu genießen, hat es mich irgendwie gerissen – ich hab’s erwähnt - ich musste anfangen zu bellen. Die Resonanz war ernüchternd, von weit weg nur eine zaghafte Bellantwort, von der ich nicht einmal sagen kann, dass die auf mich zurückging. Aber die Ausgangslage ist auch wahrlich schwierig, denn bis zum nächsten Haus über der Stadtautobahn sind es sicher hundert Meter. Kein Problem, dann halt kein Gebelle, dachte ich mir, während ich mein Hemd wegen der Hitze auszog und kurz überlegte, ob ich mich wegen meinem empfindlichen Teint mit Sonnencreme einschmieren sollte. Ich entschied mich für ein weiteres Fussbalbier und den Spotify-Vorschlag ‚Mixtape der Woche’ und Franky sang mir ‚It Was A Very Good Year’ ins Ohr.


In Erinnerungen schwelgend und freudig an meinem gut gedeihenden Coronabart kratzend, machte plötzlich mein rechter Ohrstöpsel total quietschend kratzende Geräusche, so wie man das kennt, wenn die ganze Tonanlage auszuckt, nur weil man die Klinken bei voller Lautstärke umstöpselt. ‚Um Gottes Willen’, krachte es mir in den Sinn, als Franky gerade von den City-Girls mit den parfümierten Haaren sang, ‚kein Elektrogeschäft hat offen’. Ich riss mir die Ohrstöpsel heraus, aber das Geräusch hörte nicht auf. Ich blickte Richtung Schallquelle und da kläffte sie sich das Herz aus der Seele: Sie war ein kleiner Köter, vielleicht auch männlich oder Trans, aber mit Franky im Ohr für mich definitiv eine Sie. Wir schauten uns tief in die Augen, sie saß kaum weiter als zehn Meter von mir entfernt auf dem Balkon rechts von mir einen Stock höher. Sie hörte sofort mit dem grausigen Gekläffe auf und bewegte sich nicht mehr, ich tat es ihr gleich, und in einer nicht zu beschreibenden Innigkeit wussten wir beide plötzlich, dass sich unsere Wege nicht aus Zufall gekreuzt hatten. Sie fing an, mir mit einem ganz hohen Ton ihre Zuneigung zu gestehen, ich musste mich zwar noch kurz räuspern, tat es ihr dann aber gleich und pfiff ihr den Refrain von ‚It Was A Very Good Year’ zu. Sie begann ganz schüchtern auf ihren Vieren herumzutänzeln, hüpfte irgendwie ruckhaft  immer höher, drehte irgendwie vollkommen durch und rannte ihrem Schwanz nach. Kurz dachte ich schon, ich hätte sie verloren, als ich einmal knurrig tief bellte. Und da war sie wieder: still, ruhig, mit klarem Blick und einem hechelnd triefendem Dauerlächeln in einer perfekten selbstbestimmten Sitzhaltung. Ich lächelte mit dem Barlächeln zurück, das man ansonsten aufsetzt, wenn man die Dame warmhalten möchte, aber trotzdem noch einen Blick in den Club wagt, um zu sehen, wer vielleicht noch alles da wäre.

Mein Blick streifte über die weit entfernten Balkone, als sie von rechts oben ein kurzes ängstliches Japsen und Kläffen ansetze. Ich schaute zur ihr und Bruce Willis trat mit geschlossenen Augen auf den Balkon, stützte sich dort erst auf seine Arme, breitete diese dann mit einem großen, tiefen Seufzer Richtung Sonne aus und gab der nun jämmerlich kläffenden Köterin einen Tritt. Zwei Kleinkinder stürmten auf den Balkon und zogen sie unter lautem Lachen am Schwanz in die Wohnung hinein. Sie war weg.


aloha

Jürgen Weishäupl