Palermo, Dienstag 31. März 2020



Liebe Freunde,

Die letzte Woche war urfad. Es schiffte in Einem durch. Die ganze Stadt war überschwemmt, das war jedem wurscht. Zu normalen Zeiten fahren sie dann mit ihren Rostkübeln trotzdem mitten in die innerstädtischen Überschwemmungsgebiete. Das Wasser rinnt somit in den lecken Auspuff – so was wie ein Pickerl gibt es hier nicht, man reitet das Auto bis zum Schluss – und das Auto verreckt natürlich in den Wassermassen. Dann geht gar nichts mehr weiter und alle schimpfen auf den Bürgermeister, der könnte doch endlich mal die Kanalisation reparieren und der schimpft auf den vorigen Bürgermeister, das hätte der ja machen sollen. Aber jetzt gab es nur ein niedliches Youtube-Video, wie ein Hundewelpe durch die Altstadt schwimmt, und der Bürgermeister bedankte sich bei den Bürgern, dass sie alle so brav zu Hause blieben.

Auch ich blieb zu Hause. Zum Metzger darf ich nicht mehr, nachdem meine Frau meiner Schwiegermutter meinen Blog übersetzte und heraus kam, dass unsere Mortadella wahrscheinlich coronaverseucht ist. Sie landete im Biomüll. Mein Weg führte mich die Woche vom Kinderzimmer meiner Schwägerin zur Terrasse, von der Terrasse in die Küche, von dort ins Wohnzimmer, dann wieder zurück in mein Kinderzimmer-Homeoffice und dann wieder auf die Terrasse zum Rauchen. Da ist es jetzt still. Den Palermitaner ist die Balkonsingerei auch irgendwann zu deppert geworden und sie widmen sich anscheinend lieber der häuslichen Gewalt. Das ist sogar den Hunden zu viel und die sitzen jetzt alle auf den Balkonen und schauen unmotiviert durch die Gegend. So bin ich zu meinem neuen Hobby gekommen. Das hat mir mein guter Freund Jimmy vor vielen Jahren beigebracht: Wenn man bellt, dann bellen auch die Hunde. Ist irgendein komisches Imprinting bei denen. Ich mach das einmal am Morgen nach dem Frühstück und dann am Nachmittag irgendwann zwischen Kaffee und Aperitif. Ich bin da schon richtig gut geworden und feile täglich an meiner perfekten Bellstimme. Man darf nicht zu hoch bellen, auch nicht zu tief, das Bellen muss sympathisch klingen, aber doch bestimmt, nicht aggressiv, sondern einfach zum Mitbellen animieren. Das tun die ganzen Hunde auf den Balkonen dann auch leidenschaftlich. Meist muss man nur einmal richtig animieren und dann geht es eh automatisch weiter, meist finden sich genug Hunde, die dann mit ihrem Bellen auch noch weitere Balkone anstecken. Wenn es droht abzuflachen, kann man einfach nochmals hinein bellen. Man kann auch Variieren, also so tun, als wäre man selber eigentlich mehr als nur ein Hund. Dann vielleicht doch mal kurz hoch bellen. Auch gut kommt für zwischendurch so eine Art knurrendes Bellen, das macht aber total heiser, das schaff ich meistens nur, wenn ich schon beim Aperitif bin.

Dafür ist es schön zu beobachten, dass sich die Sizilianer wieder ihrer Traditionen und lokalen Werte besinnen. Das soll ja auch bei uns so sein, wie ich höre, man häkelt Topflappen, isst die Eier aus dem eigenen Dorf und wird selber Erntehelfer. Hier wendet man sich einer verloren gegangen Kulturtechnik zu, dem so genannten Banditismus. Über Jahrhunderte waren hier ganze Dörfer in diesem Berufszweig tätig und da dachten ein paar gelangweilte Palermitaner, das könnte man ja einfach wieder mal aufleben lassen. Technologisch hochgerüstet planten sie ein Banditentum 4.0 und gründeten eine WhatsApp-Gruppe. Die Idee war ganz einfach: Man macht sich einen Supermarkt aus, vermummt ist man eh schon, dann stürmt man gemeinsam hinein, holt das Geld aus den Kassen, nimmt noch ein paar Schokoriegel und Kaugummis mit, keiner rangelt, weil sie ja alle den Sicherheitsabstand von einem Meter einhalten müssen und man geht wieder unerkannt hinaus. Die Idee war so genial, dass sie die Idee auf What’s App weiter teilten und wahrscheinlich auch mit irgendeinem, der nichts vom lokalen Kulturerbe verstand und die Carabinieri kontaktierte. Die Carabinieri fanden das eine super Möglichkeit zu zeigen, dass sie trotz Coronavirus voll einsatzfähig sind und verständigten die Medien. Die Medien berichteten groß darüber, und die Palermitaner fanden, da wär jetzt endlich mal was los, das Wasser in den Strassen war eh gesunken, und fuhren alle hin. Außer einem Stau passierte dann nichts, denn der Zeitpunkt war schlecht gewählt: der Papst hatte in seiner Sündenerlass-Fixierung ja noch einen drauf gelegt und am Tag zuvor einen Generalablass für alle vor den Fernsehgeräten oder über sonstige neue Geräte zugeschalteten Gläubigen verfügt.

Es tut halt jeder sein Ding. ‚Do your Thing’, super Song von Moondog:



Aloha,

Jürgen Weishäupl




Palermo, Samstag 21. März 2020



Liebe Freunde,

der Bürgermeister von Palermo ist fuchsteufelswild. ‚Das ist ein Befehl, keine Bitte!’, schrie er in seinem Online-Video. Die Palermitaner wollen einfach nicht zu Hause in Quarantäne bleiben und tun halt weiter, was sie immer tun. Das bedeutet das in Gruppen auf der Straße herumstehen und die aktuelle Lage zu beklagen, meist ist es das Wetter, der Müll, die schlechte Internetverbindung, die Regierung und der Bürgermeister – und jetzt halt Corona. Ist ja wirklich ärgerlich, aber wie man sich erzählt, soll das jetzt bald vorbei sein. Bei 27 Grad – so die einhellige Meinung in Palermo – stirbt das Virus ab, jetzt haben wir 20 Grad, kann sich also nur noch um Tage handeln bis das Virus hier in Palermo keine Überlebenschance mehr hat.

Nun stehen Palermitaner aber nicht nur auf der Straße herum sondern sie haben auch Traditionen. Wie wir im Ländle zündeln sie gern. Wir haben es ja gerade noch geschafft, unsere Funken vor der Ausgangssperre abzubrennen, aber die ‚Fuochi di San Giuseppe’, also die Funken für den heiligen Josef, brennt man in Palermo grad jetzt ab. Im Land des Papstes ist man katholisch und tut alles, um nicht irgendwann in der Hölle zu schmoren. Das Josefsfeuer funktioniert ein bisschen anders als bei uns, wo es Funkenzünfte gibt und wo man sich irgendeinen Platz im Grünen aussucht, die Feuerwehr in Planung und Durchführung mit einbindet und, wenn es ganz rührig wird, Volksschulkinder den Funken anzünden dürfen.

Hier in Palermo baut jeder, der will, irgendeinen Haufen mit brennbarem Zeug zusammen und zündet diesen an. Das macht man auf der Straße oder auf einem kleinen Platz, wo es sich halt grad ausgeht. Viel Benzin drauf ist immer gut, dann macht das so einen tollen WUMMS beim Anzünden. Anschließend wartet man, bis er abgebrannt ist – oder die Feuerwehr kommt und den Funken löscht. Zurück bleibt dann eine schwarze stinkende Skulptur, die sich meist erst gegen Ostern mit dem Regen langsam auflöst. Der Freiwilligeneifer der meist Jugendlichen ist manchmal so groß, dass sie riesige Funken auf kleinen Plätzen bauen und dann auch noch die ganzen Fenster rundum zerspringen. Der Coronavirus hat diese Tradition jetzt nicht so sehr unterbrochen und laut offiziellen Angaben sind gestern von der Feuerwehr an die 50 Funken gelöscht worden bevor sie ausbrannten.

Doch auch andere katholische Traditionen werden in Palermo hoch gehalten. Das Rosenkranzbeten zum Beispiel. Während die Funken eher die männlichen Katholiken als Zielgruppe hat, ist es beim Rosenkranz eindeutig die weibliche Zielgruppe, die hier von mehreren TV- und Radiostationen bedient wird. Die Werbespots zwischen den Rosenkränzen zeugen hier von einem großen Markt für Gebetsartikel, Pilgerreisen, Rheumaprodukte und Schmerzmittel. Es gibt sogar einen Tee, der bei Altersinkontinenz hilft. Wie jede TV-Anstalt versuchen natürlich auch die Bet-TVs sich gegenseitig zu überbieten. Es ist wie beim Fußball. Die RAI hat die Morgenmesse vom Papst, das Berlusconi-TV einen hübschen Priester und andächtige Nonnen im Morgenprogramm und die Ganztagesgebetssender haben ein Mitmachprogramm. Jetzt bieten alle Sender spezielle Corona-Rosenkranz-Sessions an und ein neuer Satelliten-TV-Bet-Sender hat auch noch szenographische Angaben gemacht, wie man beim Beten auch gleich noch den Coronovirus abwehren kann: dazu soll man während dem Beten des Rosenkranzes zwei Kerzen auf den Balkon stellen. Die Italiener haben ja alle einen Balkon, darum haben sie ja auch mit dieser Corona-Balkon-Musik begonnen. Eine Mutter und ihre Tochter im volkstümlichen Brancaccio-Viertel schauten das neue Satelliten-TV-Betprogramm und waren so vertieft in ihren Rosenkranz, dass sie erst viel zu spät merkten, dass die Balkonvorhänge Feuer gefangen hatten. Vielleicht haben sie auch gedacht, es wäre ein Wunder: Gott zeigt sich ja gern in einem brennenden Dornbusch, warum nicht auch auf einem brennenden Balkon. Jetzt war es jedoch so, dass alle Feuerwehrleute in Palermo wie wild die San-Giuseppe-Feuer löschen waren und Wohnung der Betenden daher richtig gut ausbrannte und Mutter und Tochter auch noch leichte Verbrennungen erlitten. 

Übrigens wird morgen für 27 Grad gebetet, der Wetterbericht ist noch dagegen, aber bei gemeinsamer Gebetspower wird sich das sicherlich noch ändern. Und noch eine gute Nachricht, die gestern Abend alle Nachrichtensender verbreiteten: der Papst hat jetzt erklärt, wie man seine Sünden vergeben bekommt ohne bei einem Priester zu beichten:


diese Breaking News behielt sich der Vatikan für seinen eigenen Youtoube-Blog vor. Wer noch ein wenig warten kann, bekommt die Vergebung aber eh automatisch. Neueste Breaking News von heute: Ostern wird nicht verschoben und es gibt einen Generalablass.


Jürgen Weishäupl

Palermo, Freitag 20. März 2020



Liebe Freunde,

heute wollte ich es mir einfach mal gut gehen lassen und hab mir eine neue Schutzmaske gegönnt. Ich hab so ein Modell mit einem eingearbeiteten Draht, da kann man die Maske perfekt an die eigene Nasengröße anpassen. Das ist total hilfreich, so kann man verhindern, dass beim Ausatmen ein Großteil der Luft nach oben entweicht, einem die Sonnenbrille beschlägt und man halbblind auf der Straße herumtorkelt.

Mit glasklaren Blick und einem konkreten Auftrag wagte ich mich ins Zentrum unseres Viertels. Die Mortadella war ausgegangen und der Fleischer meines Vertrauens hat die beste Mortadella weit und breit. Das sagt er auch immer, wenn er die Mortadella aufschneidet, ‚Aahhh, so eine gute Mortadella, buonissima’. Wie immer lächelte er breit über sein sonnengebräuntes Gesicht, seine Goldketterln schepperten über seinem Fleischerbauch und weil er es ja gut mit einem meint, schnitt er gleich 300 anstatt der bestellen 200 Gramm auf. Er meint es immer gut mit einem, bestellt man ein Kilo bekommt man zwei, will man ein Stück Käse und er zeigt dann mit dem Schneidemesser die vorgesehene Schnittstelle an, entscheidet er sich im letzten Moment für einen und schneidet einem ein viel großzügigeres Stück ab und lacht einem herzlich ins Gesicht, alle lachen auch immer retour, keiner hat sich je beschwert. Der Fleischer ist auch mehr wie ein Fleischer, er ist ein Freund, ein ewiger Pfadfinderführer, der einem hilft, das Auto zu finden, wenn es geklaut wurde oder freundlich aber bestimmt mit dem Nachbarn ein ernstes Wörtchen redet, wenn der schon wieder die Müllsäcke vor die Einfahrt gestellt hat. Bei ihm ist auch alles super, die Kassa aus Mahagoni, der Cognac hinter Kristallglas und in den Vitrinen hat er auch das rote Licht, dass auch der älteste Brocken Fleisch noch frisch ausschaut. Kein Wunder, dass bei ihm die Geschäfte besser laufen als bei seinem hageren und blassen Fleischernachbarn gleich ums Eck, bei dem die Fliesen von den Wänden bröckeln und das grünlich blinkende Neonlicht nur zu deutlich macht, dass er höchsten alle paar Tage eine Scheibe von seiner Mortadella schneidet, so angeranzt ist die schon am Eck.

Auch heute war es wieder so, bei ihm volle Hütte, beim Nachbarn tote Hose. Man fühlte sich bei ihm wie immer und plötzlich verklebte sich dieser Gedanke in meinem Gehirn zu einem Angstklotz. OH GOTT, ES IST SO WIE IMMER. Seine Goldzähne im Grinsegesicht sehe ich ja nur, da er keine Maske trägt. Mit beklemmenden Gefühl verließ ich den Fleischerladen und musste nun an mir selbst erleben, dass mein Körper und vor allem mein Hirn mit einer solchen Stresssituationen nicht richtig umgehen kann. Als Gegenreaktion sang ich auf dem ganzen Nachhauseweg in Dauerschleife

‚Wenn das so weiter geht
bis morgen früh ja früh
steh’n wir im Alkohol
bis an die Knie.’

Zuhause angekommen, entdeckte ich bei meiner Recherche, dass es noch eine zweite Strophe gibt:

Wenn das so weitergeht
im nächsten Jahr
ham wir´s Delirium
Hallelujah

Diese Strophe ist dem 1930 erschienen Roman ‚Vaterlandlose Gesellen’ des Arbeiterschriftstellers Adam Scharrer entlehnt und wird eigentlich nie gesungen. Trotzdem kam ich aus meiner Bierzeltlaune nicht mehr heraus und habe für alle, die heute Abend um 19:30 Uhr auch mit mir beim Zoom Wohl Meeting anstoßen wollen schon mal die richtige Musik zum einschunkeln:


Wer die Rückseite der Platte bis zu Ende hört, kommt auch in den Genuss der prophetischen Textzeile:

Am 30. Mai ist Weltuntergang,
wir leben nicht mehr lang,
wir leben nicht mehr lang.


Zoom Wohl



Jürgen Weishäupl

Palermo, Dienstag, 18. März 2020


Liebe Freunde,

es geht uns ja allen momentan irgendwie gleich, man erkennt plötzlich Dinge, die einem vorher nie im Leben aufgefallen wären. Ich erkenne zum Beispiel den Unterschied zwischen verschiedenen Desinfektionsgels. Das erste Fläschchen, das ich ständig bei mir trug war total erfrischend, richtig fein war das. Sobald ich dieses furzähnliche Geräusch hörte, welches den Gelerguss in meine Hand begleitete, spürte ich schon diese angenehme Kühle, die sich dann verstärkte wenn man sich die Hände rieb. Ich hab mich sogar dabei ertappt, dass ich mir bei zu viel Gelauftrag das Gel zur Erfrischung und Linderung meines Sonnenbrands ins Gesicht schmierte. Jetzt ist alles anders. Ich habe ein neues Gelfläschchen und mag das gar nicht. Es furzt nicht, sondern macht ein komisches Gurgelgeräusch, es ist nicht erfrischend und kühl und vor allem pickt es. Sicher eine halbe Minute lang kleben einem die Finger aufeinander und wenn man es oft hinter einander verwendet, dann hat man plötzlich so radiergummirestähnliche Rubbelknödel in der Hand, so wir mir das gestern Nacht passierte, wenn man sich dauernd einschmiert, da man Carabinieri, Notärzte und einen Toten in der Wohnung hat.

Ein Mieter in einer WG meiner Schwiegermutter starb und ich führte zum ersten Mal meine neuen Turnschuhe aus. Mit einem überschwänglichen ‚Endlich’ - als würden wir Brot nach einer Hungernot bringen - begrüßte uns in der Wohnung der halbdicke Carabiniere, der jedoch gleich auf ‚sofort’ in einen Dauer-subito-subito-subito-Gesang wechselte, da er fälschlicherweise annahm wir hätten jetzt eine Ausweiskopie des Toten mitgebracht. Die Notärzte und das Rettungsteam stimmten in den Gesang ein, sie bräuchten den Ausweis, sie bräuchten den Ausweis, sie bräuchten den Ausweis, sonst wissen sie ja nicht, auf wen sie den Totenschein ausstellen sollen. Der Carabiniere immer weiter ‚Subito, subito, subito, wir brauchen eine Ausweiskopie, bringen sie die’. Meine Schwiegermutter dazu ‚Der Vertrag mit der Kopie liegt im Büro, ich muss die Sekretärin fragen’, ‚subito, subito, subito’, der Carabiniere. ‚Wie sollen wir den Totenschein ohne Ausweis ausstellen?’, die Notärzte, ‚Da muss ich die Sekretärin fragen’, meine Schwiegermutter, ‚Subito, subito’ der Carabiniere, der dann plötzlich umschwenkte, den Sicherheitsabstand von einem Meter nicht mehr einhielt, meine Schwiegermutter zur Seite zog und überlegen meinte, er wisse schon, warum sie den Vertrag mit der Ausweiskopie nicht holen will, weil sie das Zimmer sicher schwarz vermieten würde. Eine Frechheit, meinte meine Schwiegermutter und wollte gerade loslegen, da schritt ich ein und sagte mit einem Tonfall, wie ihn in italienischen Kriegsfilmen die Nazis haben: ‚Wenn der Tote hier wohnt, wird er wohl in seinem Zimmer einen Ausweis haben. Sie gehen jetzt in das Zimmer und suchen den Ausweis, parallel kontaktieren wir die Sekretärin, um den Ablageort des Vertrags zu eruieren und falls Sie keinen Ausweis finden, können wir den Vertrag mit Ausweiskopie hohlen. Also, gehen sie jetzt in das Zimmer und suchen sie den Ausweis.’ Ich wurde dabei immer lauter und hätte beinah ‚Heil’ geschrien, ich erinnerte mich an meine Statistenrolle als Nazi in einem italienischen Kriegsfilm, ein total brutaler Film, da hatten wir die italienischen Gefangenen einfach erschossen. Der Carabiniere schnaufte tief und lief ins Zimmer zu dem Toten, ich rieb mir ein bisschen Gel in die Hände und meine Schwiegermutter rief die Sekretärin an.

Der Tote hatte seinen Ausweis wohl sehr gut versteckt und um die Wartezeit zu überbrücken und die Situation etwas zu entspannen erzählte ich meiner Schwiegermutter einen Carabinieri-Witz. Die sind in Italien so beliebt wie bei uns die Burgenländerwitze. Mir fiel einer ein, den Berlusconi als Premier anlässlich der offiziellen staatlichen 150-Jahr-Feier der Carabinieri am Ende seine Rede vortrug. Er meinte, wenn er schon in einem Raum mit so vielen Carabinieri wäre, dann müsste er einfach einen Carabinieri-Witz erzählen, und der ging so:

Findet ein Carabiniere einen Pinguin und bringt ihn ins Kommissariat. Sagt der Kommandant ‚Was machst Du denn mit dem Pinguin hier, bring in ihn den Zoo’. Der Carabiniere verschwindet und später am Tag trifft ihn der Kommandant mit dem Pinguin in einem Cafe. Sagt der Kommandant ‚Was machst Du denn mit dem Pinguin hier, du solltest ihn doch zum Zoo bringen.’ ‚Da waren wir auch’, der Carabiniere, ‚dann sind wir ins Kino und jetzt essen wir ein Eis’.

Hier übrigens im Original:


Mit einem überglücklichen langen ‚Aaaaaaaaaahhhhhh’ als hätte er den Lottojackpot, kam der Carabiniere aus dem Totenzimmer gelaufen, knallte mit einer Siegesgeste den Ausweis des Toten auf den Tisch und wir konnten wieder gehen.



Jürgen Weishäupl

Palermo, Montag, 17. März 2020


Liebe Freunde,

heute sollte ein guter Tag werden, dachte ich mir. Nach der recht kritischen Morgenbetrachtung meines noch zart sprießenden Coronabartes, klickte ich voll freudiger Erwartung auf die Taste ‚Sendung nachverfolgen’, um mir anzusehen, wann wohl heute meine online bestellten Halbschuhe geliefert werden würden. Ein Schrecken durchfuhr meinen Körper:. ‚Sendung vom Empfänger abgelehnt’ stand da, Uhrzeit 8:42. Wut und Schuldbewusstsein mischten sich, denn um die Uhrzeit lag ich noch im Bett. Die Hotline anzurufen war die spontane Reaktion, die zur Erkenntnis führte, dass man italienische Hotlines mit einem österreichischen Handy nicht anrufen kann.

Es musste etwas geschehen, irgendwas. Eine Zeitung kaufen, zum Beispiel. Nach langem innerfamiliärem Abwägen, ob es das Kontaminierungsrisiko wert wäre, in einer heutigen Zeitung veraltete Sachen von gestern zu lesen, setzten sich mein Wagemut und meine Abenteuerlust durch, verstärkt durch die Tatsache, dass ich einen ganzen Sack von Schutzmasken bei meiner Flucht aus Österreich mitbrachte und auf einen großen Pool an Desinfektionsflaschen zurückgreifen konnte. Es war die richtige Entscheidung: draußen erwartete mich Vogelgezwitscher statt Zweitaktgestotter, von den Balkonen winkten mir Kinder zu, und vermummte Menschen wichen mit hoffnungsvollen Blicken weiträumig aus. Mit wehmütigen Augen schaute ich in die Auslage eines Schuhgeschäfts: da standen sie zu hunderten nebeneinander, die Paare meiner Begierde, so nah und doch unerreichbar. Ich machte mich schon auf in Richtung Zeitungskiosk, als ich bemerkt, dass ein Mensch zur Tür des Schuhgeschäfts redete. Wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellte, stand in der halbgeöffneten Tür ein weiterer Mensch. Ich nahm all meinen Mut zusammen und näherte mich vorsichtig und fragte unterwürfig, ob es wohl möglich wäre Schuhe zu kaufen. Nein, das wäre verboten, sagte grad heraus der Mann in der Tür, während der andere zurückwich um den Schutzabstand von mindesten einem Meter zu mir zu wahren. Ich setzte meinen besten austro-italienischen Akzent auf, zeigte auf meine Pelzstiefel und klagte Ihnen mein Leid von wegen Schweißfüssen und Finnland. Es schien zu wirken. Der Mann auf Sicherheitsabstand sagte zum Mann in der Tür: Dieser Mensch ist in einer Notlage, wir müssen ihm helfen. Etwas zögerlich öffnete der Mann in der Tür diese nun ganz und stellte klar, dass er mir unmöglich einen Beleg ausstellen könne. Ich antwortete mit der sizilianischen Scheiß-der-Hund-drauf-Geste und betrat den Laden, nachdem der Mann draußen erst noch die ganze Umgebung nach vielleicht irgendwo herumstreunenden Ordnungshütern mit seinen zusammengekniffenen Augen abtastete. ‚Giù la testa’, also ‚Kopf nach unten’, sagte er mir und gebückt folgte ich ihm wie durch Schützengräben durch das brusthoch aufgestellte Schuhkartonlabyrinth zu einem sicheren und von außen uneinsichtigen Bereich des Schuhgeschäfts, während sein Komplize draußen vor der Tür unauffällig Schmiere stand. Der Schuhgeschäftsmann ging jetzt wieder aufrecht, als ob er irgendetwas ordnen würde, durch das Geschäft und brachte mir mehrere in meiner Größe vorhandene Schuhe. Trotz des Halbdunkels, denn sicherheitshalber schaltete er das Licht nicht an, wurde deutlich sichtbar, was einem in einen Schuhgeschäft sonst total peinlich ist: nämlich die Schweißflecken auf den Socken, welche in dieser besonderen Situation aber meine Notlage erst so richtig verdeutlichten. Dennoch nahm ich das erste Paar und fragte, ob ich sie gleich anlassen könne. Klar, aber er würde mir jetzt die Schuhe nicht in einen Karton geben - das wäre zu auffällig -  sondern einfach in einen Sack. Gebückt schlichen wir zurück bis zur Kassa hinter der wir uns beide verschanzten und das Geldgeschäft erledigten. Der Komplize draußen gab uns ein Zeichen, dass die Luft rein wäre, und mehrfach ‚Grazie’ murmelnd verließ ich das Schuhgeschäft und fing an, die Titelmelodie von ‚Giù la testa’ von Ennio Morricone durch meine Schutzmaske zu pfeifen, die mir seit der diesbezüglichen Aufforderung nicht mehr aus dem Kopf ging. Auf Deutsch heißt dieser zweite Teil der Amerika-Trilogie von Sergio Leone übrigens ‚Todesmelodie’, auch passend für diese Zeit, dachte ich mir, jeden Schritt in meinen neuen Schuhen freudig betrachtend.

Und weil es einfach ein super Lied ist, möchte ich Euch diese Konzerteinspielung aus Venedig nicht vorenthalten:




Jürgen Weishäupl

Palermo, Freitag, 13. März 2020


Liebe Freunde,

gestern hab ich das Ländle verlassen und bin anstatt nach Finnland nach Palermo geflogen. In Finnland hätte ich mich im Auftrag von Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald mit Kulturmenschen aus ganz Europa getroffen, die gerne mal Kulturhauptstadtmacher werden wollten, es aber nicht schafften oder es aber für die Zukunft probieren und von uns Nicht-Gewinnern gerne wissen wollen, was wir da wohl falsch gemacht haben. Wir hatten dann eine Videokonferenz. Auch die Kolleg*innen aus St. Pölten waren online. Die wissen eigentlich selber nicht, warum sie jetzt bei dieser Gruppe sind, denn sie haben ja nichts falsch gemacht. Irgendwie geht’s uns da allen gleich …

Das Glück hier in Palermo, die Coronazeit auszuharren, ist sicher das Wetter. Die Sonne scheint, es hat über 20 Grad, man setzt sich auf den Balkon und hört plötzlich von allen Balkonen aus Leute singen und schreien. Man denkt OK, jetzt werden doch alle zu Zombies und springen gleich vom 10. Stock auf die Straße und rennen dann los, aber nein, es ist eine WhatsApp-Gruppe, die zum gemeinsamen Singen von den Balkonen aufgerufen hat. Nur blöd, dass sie sich nicht auf ein Lied einigen konnten. Morgen probieren sie es nochmals. Da ist es einfacher, jeder soll einfach klatschen.

Gestern wurden alle Geschäfte, Restaurants und Bars geschlossen und man darf nur noch mit einer gültigen Zirkulationsbescheinung auf die Straße, die man sich in Italien zum Glück selber ausstellen kann. Es gibt hier die sogenannte ‚autocertificazione’, also die Selbstbestätigung. Das gibt es hier schon solange es Behörden gibt. Da die Behörden hier nicht funktionieren und man nie den Zettel, den man grad braucht, irgendwo bekommt, kann man sich so eine Selbstbestätigung selber ausstellen. Zum Beispiel, dass man da oder dort gemeldet ist oder den Führerschein der Klasse C hat, wenn man grad mit einem LKW unterwegs ist. Diese Selbstbestätigung gilt wie das Original, jede Behörde und jeder Polizist akzeptiert das, vor allem wenn es eine offizielle Selbstbestätigung ist. Damit diese Selbstbestätigung besser ausschaut, gibt es nämlich eine eigene Behörde, das ‚ufficio di autocertificazione’, also das ‚Amt für Selbstbestätigung’. Da kann man sich dann auf einer schönen Vorlage alles selber bestätigen, dann klebt man eine Stempelmarke drauf und kriegt von der Behörde einen schönen Stempel und eine Unterschrift. Das fand ich in der Jugend wunderbar. Man kam zu einem Rendezvous mit einer offiziell bestätigten Selbstbestätigung, dass man in die jeweilige Dame verliebt wäre. Das kam immer gut an. Jetzt kann man sich so eine schöne Vorlage im Internet herunterladen, ausfüllen und ausdrucken, warum man unbedingt auf der Straße herumlaufen muss. Wer ohne so eine Selbstbestätigung in den Supermarkt geht, wird wieder heim geschickt: man möge sich doch erst eine Selbstbestätigung machen, dann könne man ja wieder kommen, alles soll ja seine Ordnung haben. Ich habe mir eine solche Selbstbestätigung heruntergeladen und ausgefüllt, als Grund gab ich an, die leeren Straßen filmen zu wollen, damit ich das meinen Freunden im Ländle zeigen kann, was sie ab nächste Woche erwartet, doch stand ich leider im Stau. Also ich muss das relativieren, für Palermo würde man das zähflüssigen Verkehr nennen, aus Ländlesicht wäre es ein Stau. Leider schaffte ich keine Bilder von menschleeren Straßen zu schießen und fuhr wieder heim.

So rief ich meinen bayrischen Freund in Palermo an und fragte, wie es ihm ginge. ‚Scheena Schaas’, meinte er, alle Kneipen dicht, aber es wäre OK, er hätte genügend Bier zu Hause, ich solle doch vorbeikommen und als Nachsatz, ‚wenns die aufhoiten, sogst du suachst a Apotheken’. Er wusste wohl nichts von meiner Selbstbestätigung, die ich nicht mal brauchte, denn keiner hielt mich auf. Schade.

Lange hielt ich es draußen aber eh nicht aus, denn ich hasse Schweißfüße. Die bekomme ich aber unweigerlich in meinen dicken Pelzstiefeln, die ich mir zusammen mit langen Unterhosen, Anorak, Fäustlingen und Rollkragenpullovern für Finnland und die prognostizierten -20° C eingepackt hatte. Ich hab mir jetzt Halbschuhe im Internet bestellt.

Für alle, die jetzt Urlaub in Italien machen wollen, hier ein Informationsvideo der WHO über die ‚autocertificazione’:


Die praktischen Hinweise sollte man sich aufmerksam anhören, da der Urlaub sicher länger wird, denn der letzte Bundesflieger ging heute von Rom über Venedig zurück nach Wien. Das österreichische Konsulat in Mailand rief mich heute an, falls ich doch zurück wolle, würde heute der Flieger gehen und ich könnte dann in Wien für 2 Wochen in Quarantäne. Da hätte ich wenigsten in meinen Pelzstiefeln nicht so geschwitzt, jetzt geh ich halt barfuß auf den Balkon und beklatsche meine schöne ‚autocertificazione’.


Jürgen Weishäupl