Palermo, Freitag 24. April 2020


Liebe Freunde,

das Weltgeschehen ist eine lange Liste von Fragen, die dann irgendwie beantwortet werden. Zum Beispiel: Wohin gehe ich heute mit meinem Hund Gassi? Die Frage wird sicher beantwortet. Oder: Dürfen Schauspieler auf der Bühne küssen, wenn sie in einem Haushalt leben? Oder: Kann man mit der Kraft des Geistes seinen eigenen Haarwuchs stoppen? Oder: Was tun wir jetzt mit dem Auto?

Die Frage kam von meiner Schwiegermutter und sie meinte den Mega-Pick-Up meines Schwiegervaters. Und weiter, ‚wenn Du ihn brauchst, nimm ihn’. Ich sagte ‚OK, sehr nett, aber ich hab ja ein Auto in Wien’. ‚Dann also Verkaufen’, meinte sie und ich bot an mit dem Händler zu reden, bei dem mein Schwiegervater einst den Wagen gekauft hatte.

Das war ein guter Grund, wenn auch ein relativ hoffnungsloser, denn Autogeschäfte dürfen nicht öffnen, aber das Geschäft liegt direkt am Hafen, das ist einfach eine gute Gegend. Und wie ich schon vermutet hatte, war das Geschäft geschlossen jedoch der Besitzer stand davor. Sofort erinnerte er sich an meinen Schwiegervater, an seine Freunde und anscheinend sogar an mich. Der Autoverkäufer ist sehr elegant, mit Schnauzer, so ein Clark Gable-Typ und ist 76 Jahre alt, wie er mir später unter jubilierendem Herumgehupfe anvertraute. Und er ist ungefähr 140 groß, eine Art Bonsai-Gable.

Er schaute sich das Auto an, ‚leider verkratzt’, sagte er, als wäre es sein eigenes. Es tat mir selber leid für ihn und dann ging das ganze Gelaber los, wo er am Ende sagte, also 4000 könnte er mir geben, wenn er es verkauft, ja wenn, wer weiß, Corona, schlimme Zeiten, Geschäft geschlossen, ja wenn und wer weiß wann, ja wann, wer weiß das schon. Ich wusste es auch nicht und Schulter zuckend lächelten wir uns an.  Ich soll am Nachmittag wieder kommen, dann würde sein Sohn Fotos machen. ‚Ich bin ja nur der Mittler’, sagte ich, ich werde es meiner Schwiegermutter ausrichten.

Der Sohn war ein typischer Palermo-Verschnitt aus Rocker mit Anleihen aus Punk und Top Gun. Seine Sonnenbrille nahm er nur ab, um den Tachostand zu kontrollieren. Wie sich herausstellte, war er Anfang der 90er nach Berlin gegangen und um mir irgendwie verständlich zu machen, was er dort wohl alles erlebt in den besetzten Häusern hat, bewegte er seine rechte Hand ungefähr einen Meter auf und ab und sagte dann lange und ansteigend: ‚OOOOOOHHHHHH.’ Und dann ein kurzes MIIIIH. Das ist die Abkürzung für ‚minchia’, was männlicher Schwanz bedeutet. Dann schaltete er blitzschnell in ein scharfes ‚Jawohl’ um, und das darauffolgende grelle Lachen ging dann in einen eher härteren Raucherhusten über. Als er sich wieder von den Knien erhob, räusperte er sich brodelnd einen enormen Halsschleim zusammen und ich dachte, jetzt spuckt er gleich einen riesigen grünen Batzen auf den Gehsteig. Ein bisschen beschämt, weil er merkte, dass ich ihn ertappt hatte, lächelte er mich an und schluckte den Brocken hinunter.

Eigentlich hätte ich jetzt heute hin fahren sollen, um den Wagen einem potentiellen Kunden zu zeigen, aber jetzt brauche ich ihn doch selber. Ich fahr nach Wien.

aloha

Jürgen

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