Liebe Freunde,
gestern hab ich das Ländle verlassen und bin anstatt nach
Finnland nach Palermo geflogen. In Finnland hätte ich mich im Auftrag von
Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald mit Kulturmenschen aus ganz
Europa getroffen, die gerne mal Kulturhauptstadtmacher werden wollten, es aber
nicht schafften oder es aber für die Zukunft probieren und von uns
Nicht-Gewinnern gerne wissen wollen, was wir da wohl falsch gemacht haben. Wir
hatten dann eine Videokonferenz. Auch die Kolleg*innen aus St. Pölten waren
online. Die wissen eigentlich selber nicht, warum sie jetzt bei dieser Gruppe
sind, denn sie haben ja nichts falsch gemacht. Irgendwie geht’s uns da allen
gleich …
Das Glück hier in Palermo, die Coronazeit auszuharren, ist
sicher das Wetter. Die Sonne scheint, es hat über 20 Grad, man setzt sich auf den
Balkon und hört plötzlich von allen Balkonen aus Leute singen und schreien. Man
denkt OK, jetzt werden doch alle zu Zombies und springen gleich vom 10. Stock
auf die Straße und rennen dann los, aber nein, es ist eine WhatsApp-Gruppe, die
zum gemeinsamen Singen von den Balkonen aufgerufen hat. Nur blöd, dass sie sich
nicht auf ein Lied einigen konnten. Morgen probieren sie es nochmals. Da ist es
einfacher, jeder soll einfach klatschen.
Gestern wurden alle Geschäfte, Restaurants und Bars
geschlossen und man darf nur noch mit einer gültigen Zirkulationsbescheinung
auf die Straße, die man sich in Italien zum Glück selber ausstellen kann. Es
gibt hier die sogenannte ‚autocertificazione’, also die Selbstbestätigung. Das
gibt es hier schon solange es Behörden gibt. Da die Behörden hier nicht
funktionieren und man nie den Zettel, den man grad braucht, irgendwo bekommt,
kann man sich so eine Selbstbestätigung selber ausstellen. Zum Beispiel, dass
man da oder dort gemeldet ist oder den Führerschein der Klasse C hat, wenn man
grad mit einem LKW unterwegs ist. Diese Selbstbestätigung gilt wie das
Original, jede Behörde und jeder Polizist akzeptiert das, vor allem wenn es
eine offizielle Selbstbestätigung ist. Damit diese Selbstbestätigung besser
ausschaut, gibt es nämlich eine eigene Behörde, das ‚ufficio di
autocertificazione’, also das ‚Amt für Selbstbestätigung’. Da kann man sich dann
auf einer schönen Vorlage alles selber bestätigen, dann klebt man eine
Stempelmarke drauf und kriegt von der Behörde einen schönen Stempel und eine
Unterschrift. Das fand ich in der Jugend wunderbar. Man kam zu einem Rendezvous
mit einer offiziell bestätigten Selbstbestätigung, dass man in die jeweilige Dame
verliebt wäre. Das kam immer gut an. Jetzt kann man sich so eine schöne Vorlage
im Internet herunterladen, ausfüllen und ausdrucken, warum man unbedingt auf
der Straße herumlaufen muss. Wer ohne so eine Selbstbestätigung in den
Supermarkt geht, wird wieder heim geschickt: man möge sich doch erst eine
Selbstbestätigung machen, dann könne man ja wieder kommen, alles soll ja seine
Ordnung haben. Ich habe mir eine solche Selbstbestätigung heruntergeladen und
ausgefüllt, als Grund gab ich an, die leeren Straßen filmen zu wollen, damit
ich das meinen Freunden im Ländle zeigen kann, was sie ab nächste Woche
erwartet, doch stand ich leider im Stau. Also ich muss das relativieren, für
Palermo würde man das zähflüssigen Verkehr nennen, aus Ländlesicht wäre es ein
Stau. Leider schaffte ich keine Bilder von menschleeren Straßen zu schießen und
fuhr wieder heim.
So rief ich meinen bayrischen Freund in Palermo an und
fragte, wie es ihm ginge. ‚Scheena Schaas’, meinte er, alle Kneipen dicht, aber
es wäre OK, er hätte genügend Bier zu Hause, ich solle doch vorbeikommen und
als Nachsatz, ‚wenns die aufhoiten, sogst du suachst a Apotheken’. Er wusste
wohl nichts von meiner Selbstbestätigung, die ich nicht mal brauchte, denn keiner
hielt mich auf. Schade.
Lange hielt ich es draußen aber eh nicht aus, denn ich hasse
Schweißfüße. Die bekomme ich aber unweigerlich in meinen dicken Pelzstiefeln,
die ich mir zusammen mit langen Unterhosen, Anorak, Fäustlingen und
Rollkragenpullovern für Finnland und die prognostizierten -20° C eingepackt
hatte. Ich hab mir jetzt Halbschuhe im Internet bestellt.
Für alle, die jetzt Urlaub in Italien machen wollen, hier
ein Informationsvideo der WHO über die ‚autocertificazione’:
Die praktischen Hinweise sollte man sich aufmerksam anhören,
da der Urlaub sicher länger wird, denn der letzte Bundesflieger ging heute von
Rom über Venedig zurück nach Wien. Das österreichische Konsulat in Mailand rief
mich heute an, falls ich doch zurück wolle, würde heute der Flieger gehen und
ich könnte dann in Wien für 2 Wochen in Quarantäne. Da hätte ich wenigsten in
meinen Pelzstiefeln nicht so geschwitzt, jetzt geh ich halt barfuß auf den
Balkon und beklatsche meine schöne ‚autocertificazione’.
Jürgen Weishäupl
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