Palermo, Mittwoch, 8. April 2020



Liebe Freunde,

Hunde und Polizisten haben mehr gemein, als man auf den ersten Blick annehmen könnte: beide suchen sie gern nach Drogen und grüßen zurück. Das wurde mir heute bewusst. Hunde bellen zurück und Polizisten salutieren zurück. Bei meinen Flanierrunden durch die Wiener Innenstadt ist das einer meiner großen Freuden: Polizisten salutieren. Am freundlichsten salutieren immer die vor Ministerien Wache stehenden Polizisten zurück. Das ist denen ein Reflex, dem sie sich nicht entziehen können – aber noch nie ist mir passiert, dass mir ein Polizist aktiv salutierte, bis jetzt, in Palermo.

‚Autos müssen bewegt wegen.’ Meine Schwiegermutter gab heute diesen Slogan so resolut aus, als würde sie auf der Pay-Roll der Automobilindustrie stehen. Alle drei Autoschlüssel drückte sie mir in die Hand. ‚Ein Wahnsinn, wegen diesem Coronavirus fahren nicht mal die Autos’ und sie erzählte mir von ihrem wunderschönen Traum, den sie hatte: sie wäre im Stau gestanden. Ich starte also den Smart, fuhr ein wenig vor, ein wenig zurück, startete den Yaris, fuhr ein wenig vor und ein wenig zurück, startete den Nissan Megageländewagen meines Schwiegervaters und fuhr los. Das Gefühl im Wagen ist wie auf einem Traktor: die Räder sind ungefähr gleich groß, es ruckelt sanft, man hört die Schläge der Kolben – und beim Fahren durch die Gassen von Palermo muss man nie stoppen, denn hier gilt das Recht des Stärkeren. Es ist ja eigentlich der Jagdwagen meines Schwiegervaters. Ich erinnerte mich zurück, wie ich mit Sperrdifferential die steilsten Hänge in seinem Jagdgebiet hochradierte und er vom Beifahrersitz aus die Vögel vom Himmel ballerte, da war grad Rotkehlchensaison. Die schmecken super und er gratulierte auch meinem Vater bei seinem ersten Besuch in Vorarlberg für seine Falle; mein Vater hatte beim Küchenfenster ein Vogelfutterhaus installiert. Wir mussten meinem Schwiegervater dann erklären, dass man im Ländle die Rotkehlchen anschaut, aber nicht isst. Direkt am Küchenfenster aufgebaut, war das für meinen Schwiegervater nur schwer verständlich.

Heute war ich aber nicht auf Jagd, sondern wollte einfach nur ans Meer. Obwohl eigentlich kein Verkehr war, ging das nur im Schritttempo, da ich hinter einem von der Polizei begleiteten Durchsage-LKW gelandet war. Direkte Straßenkommunikation ist in Palermo sehr beliebt, ob man Gemüse aus seiner APE heraus verkauft, ein mobiles Messerschleifgerät mit sich herum führt oder zu einem Theaterabend einladen möchte: man schreit das gern über mehrere Megaphone in die Straßen hinein, Street-Marketing; ‚Bleibt zu Hause’, war heut die Message:

Ich kam dann doch irgendwie zum Meer und auf dem Weg zurück in eine Polizeikontrolle. Der Polizist übernahm die Begrüßung und salutierte, ich salutierte reflexhaft zurück. Nachdem ich ihm die geforderten Fahrzeugpapiere, den Führerschein und die Autocertificazione – also die Selbstbestätigung – übergab, meinte er: ‚Ah, Sie sind Deutscher’. Innerlich brodelnd antwortete ich in süßlichstem palermitanischem Dialekt: ‚Nein, ich bin Österreicher’. Der Polizist grinste mich jetzt freudig an, und das war auch gut so, denn es gab gleich mehrere Probleme. Die Selbstbestätigungsvorlage des Innenministeriums, die ich mir am Tag meiner Ankunft ausgefüllt hatte, war nicht mehr gültig. Es gibt nämlich mittlerweile eine neue Selbstbestätigungsvorlage, er zeigte sie mir und leider war das wirklich ein ästhetischer Rückschritt, denn es gibt auf der neuen zwar noch ein paar Felder mehr zum Ankreuzen, aber kein schönes Riesenlogo vom Innenministerium mehr. Das wäre gar kein Problem, sie würden jetzt einfach für mich die alte Selbstbestätigung auf das neue Formular übertragen, versicherte mir der Polizist. Damit reichte er der Politesse meine ganzen Unterlagen und erzählte mir in der Wartezeit, wie schön Wien wäre, dass er schon zweimal dort gewesen wäre: einmal mit Freunden und einmal mit seiner Frau, wobei er mir mit einem unmissverständlichen Gesichtsausdruck zu verstehen gab, dass der Besuch ohne Frau wahrscheinlich der mit höherem Erinnerungswert war. Weil wir uns jetzt so gut verstanden, war dem Polizist der Sicherheitsabstand wurscht, er lehnte sich an mein geöffnetes Fenster und wollte mir gerade Details seines ersten Wienaufenthaltes erzählen, als uns die Politesse mit der Bemerkung störte, ich hätte ‚Filmen und Einkaufen’ als Grund für mein Außer-Haus-Sein angeben. ‚Warum filmen?’ Ich hätte einen Blog, sagte ich. Dann ist er also ein Journalist, sagt der Polizist zur Politesse. Dann brauche ich seinen Journalistenausweis, sagte die Politesse zum Polizist. So was gibt es bei uns in Österreich nicht, sagte ich zum Polizist. Dann streichen wir halt von der Selbstbestätigung ‚Filmen’ und schreiben nur ‚Einkaufen’, sagt der Polizist zur Politesse. Das tat sie. Der Polizist und ich grinsten uns noch einmal zu, salutierten und dann fuhr ich heim.

Jürgen Weishäupl



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