Palermo, Donnerstag 2. April 2020



Liebe Freunde,

wer sich ein wenig mit Fußball auskennt, der kennt sich jetzt aus: ab Mai bis Juni werden die nationalen Liegen gespielt, von Juli bis August die internationalen. Das wär jetzt mal geregelt, dachte ich mir bei einem vorgezogenen Fußballbier auf dem Südbalkon. Der Südbalkon hat einen großen Nachteil: er ist schmal. Die Terrasse hat einen großen Vorteil: sie ist groß, sehr groß. Meist verbringe ich die Zeit auf der Terrasse, belle dort in der Freizeit und lächle während der Arbeitszeit hämisch in die Videokonferenzen, wenn die anderen im Hintergrund mit Schneegestöber und ich mit Blüten dasitze. Auf der Terrasse ist es angenehm kühl, sie geht Richtung Norden und man kann dort gut arbeiten, oder eben bellen. Jetzt ist es aber in Palermo ein wenig kühl geworden, zu kühl für lange Arbeitssessions auf der Terrasse und darum ziehe ich mich immer wieder auf den Südbalkon zurück, lasse mich ein wenig von der Sonne aufwärmen, rauche eine Zigarette, nehm einen Kaffee, hör ein wenig Musik und blöderweise hab ich gestern auch dort mit dem Bellen angefangen.

Der Südbalkon geht zur Stadtautobahn, darum geht man dort eigentlich nie hinaus; der Lärm, die Abgase, die Huperei, alles ein Wahnsinn. Aber jetzt, dank Corona, sachtes Dahinbrummen von manchmal auftauchenden Autos und fast schon übertriebenes Vogelgezwitscher. Anstatt einfach gemütlich dort zu sitzen und die Sonne zu genießen, hat es mich irgendwie gerissen – ich hab’s erwähnt - ich musste anfangen zu bellen. Die Resonanz war ernüchternd, von weit weg nur eine zaghafte Bellantwort, von der ich nicht einmal sagen kann, dass die auf mich zurückging. Aber die Ausgangslage ist auch wahrlich schwierig, denn bis zum nächsten Haus über der Stadtautobahn sind es sicher hundert Meter. Kein Problem, dann halt kein Gebelle, dachte ich mir, während ich mein Hemd wegen der Hitze auszog und kurz überlegte, ob ich mich wegen meinem empfindlichen Teint mit Sonnencreme einschmieren sollte. Ich entschied mich für ein weiteres Fussbalbier und den Spotify-Vorschlag ‚Mixtape der Woche’ und Franky sang mir ‚It Was A Very Good Year’ ins Ohr.


In Erinnerungen schwelgend und freudig an meinem gut gedeihenden Coronabart kratzend, machte plötzlich mein rechter Ohrstöpsel total quietschend kratzende Geräusche, so wie man das kennt, wenn die ganze Tonanlage auszuckt, nur weil man die Klinken bei voller Lautstärke umstöpselt. ‚Um Gottes Willen’, krachte es mir in den Sinn, als Franky gerade von den City-Girls mit den parfümierten Haaren sang, ‚kein Elektrogeschäft hat offen’. Ich riss mir die Ohrstöpsel heraus, aber das Geräusch hörte nicht auf. Ich blickte Richtung Schallquelle und da kläffte sie sich das Herz aus der Seele: Sie war ein kleiner Köter, vielleicht auch männlich oder Trans, aber mit Franky im Ohr für mich definitiv eine Sie. Wir schauten uns tief in die Augen, sie saß kaum weiter als zehn Meter von mir entfernt auf dem Balkon rechts von mir einen Stock höher. Sie hörte sofort mit dem grausigen Gekläffe auf und bewegte sich nicht mehr, ich tat es ihr gleich, und in einer nicht zu beschreibenden Innigkeit wussten wir beide plötzlich, dass sich unsere Wege nicht aus Zufall gekreuzt hatten. Sie fing an, mir mit einem ganz hohen Ton ihre Zuneigung zu gestehen, ich musste mich zwar noch kurz räuspern, tat es ihr dann aber gleich und pfiff ihr den Refrain von ‚It Was A Very Good Year’ zu. Sie begann ganz schüchtern auf ihren Vieren herumzutänzeln, hüpfte irgendwie ruckhaft  immer höher, drehte irgendwie vollkommen durch und rannte ihrem Schwanz nach. Kurz dachte ich schon, ich hätte sie verloren, als ich einmal knurrig tief bellte. Und da war sie wieder: still, ruhig, mit klarem Blick und einem hechelnd triefendem Dauerlächeln in einer perfekten selbstbestimmten Sitzhaltung. Ich lächelte mit dem Barlächeln zurück, das man ansonsten aufsetzt, wenn man die Dame warmhalten möchte, aber trotzdem noch einen Blick in den Club wagt, um zu sehen, wer vielleicht noch alles da wäre.

Mein Blick streifte über die weit entfernten Balkone, als sie von rechts oben ein kurzes ängstliches Japsen und Kläffen ansetze. Ich schaute zur ihr und Bruce Willis trat mit geschlossenen Augen auf den Balkon, stützte sich dort erst auf seine Arme, breitete diese dann mit einem großen, tiefen Seufzer Richtung Sonne aus und gab der nun jämmerlich kläffenden Köterin einen Tritt. Zwei Kleinkinder stürmten auf den Balkon und zogen sie unter lautem Lachen am Schwanz in die Wohnung hinein. Sie war weg.


aloha

Jürgen Weishäupl


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