Liebe Freunde,
wer sich ein wenig mit Fußball auskennt, der kennt sich
jetzt aus: ab Mai bis Juni werden die nationalen Liegen gespielt, von Juli bis
August die internationalen. Das wär jetzt mal geregelt, dachte ich mir bei
einem vorgezogenen Fußballbier auf dem Südbalkon. Der Südbalkon hat einen
großen Nachteil: er ist schmal. Die Terrasse hat einen großen Vorteil: sie ist
groß, sehr groß. Meist verbringe ich die Zeit auf der Terrasse, belle dort in
der Freizeit und lächle während der Arbeitszeit hämisch in die
Videokonferenzen, wenn die anderen im Hintergrund mit Schneegestöber und ich
mit Blüten dasitze. Auf der Terrasse ist es angenehm kühl, sie geht Richtung
Norden und man kann dort gut arbeiten, oder eben bellen. Jetzt ist es aber in
Palermo ein wenig kühl geworden, zu kühl für lange Arbeitssessions auf der Terrasse
und darum ziehe ich mich immer wieder auf den Südbalkon zurück, lasse mich ein
wenig von der Sonne aufwärmen, rauche eine Zigarette, nehm einen Kaffee, hör
ein wenig Musik und blöderweise hab ich gestern auch dort mit dem Bellen
angefangen.
Der Südbalkon geht zur Stadtautobahn, darum geht man dort
eigentlich nie hinaus; der Lärm, die Abgase, die Huperei, alles ein Wahnsinn.
Aber jetzt, dank Corona, sachtes Dahinbrummen von manchmal auftauchenden Autos
und fast schon übertriebenes Vogelgezwitscher. Anstatt einfach gemütlich dort
zu sitzen und die Sonne zu genießen, hat es mich irgendwie gerissen – ich hab’s
erwähnt - ich musste anfangen zu bellen. Die Resonanz war ernüchternd, von weit
weg nur eine zaghafte Bellantwort, von der ich nicht einmal sagen kann, dass
die auf mich zurückging. Aber die Ausgangslage ist auch wahrlich schwierig, denn
bis zum nächsten Haus über der Stadtautobahn sind es sicher hundert Meter. Kein
Problem, dann halt kein Gebelle, dachte ich mir, während ich mein Hemd wegen
der Hitze auszog und kurz überlegte, ob ich mich wegen meinem empfindlichen Teint
mit Sonnencreme einschmieren sollte. Ich entschied mich für ein weiteres
Fussbalbier und den Spotify-Vorschlag ‚Mixtape der Woche’ und Franky sang mir
‚It Was A Very Good Year’ ins Ohr.
In Erinnerungen schwelgend und freudig an meinem gut
gedeihenden Coronabart kratzend, machte plötzlich mein rechter Ohrstöpsel total
quietschend kratzende Geräusche, so wie man das kennt, wenn die ganze Tonanlage
auszuckt, nur weil man die Klinken bei voller Lautstärke umstöpselt. ‚Um Gottes
Willen’, krachte es mir in den Sinn, als Franky gerade von den City-Girls mit
den parfümierten Haaren sang, ‚kein Elektrogeschäft hat offen’. Ich riss mir
die Ohrstöpsel heraus, aber das Geräusch hörte nicht auf. Ich blickte Richtung
Schallquelle und da kläffte sie sich das Herz aus der Seele: Sie war ein
kleiner Köter, vielleicht auch männlich oder Trans, aber mit Franky im Ohr für
mich definitiv eine Sie. Wir schauten uns tief in die Augen, sie saß kaum
weiter als zehn Meter von mir entfernt auf dem Balkon rechts von mir einen
Stock höher. Sie hörte sofort mit dem grausigen Gekläffe auf und bewegte sich
nicht mehr, ich tat es ihr gleich, und in einer nicht zu beschreibenden
Innigkeit wussten wir beide plötzlich, dass sich unsere Wege nicht aus Zufall
gekreuzt hatten. Sie fing an, mir mit einem ganz hohen Ton ihre Zuneigung zu
gestehen, ich musste mich zwar noch kurz räuspern, tat es ihr dann aber gleich
und pfiff ihr den Refrain von ‚It Was A Very Good Year’ zu. Sie begann ganz
schüchtern auf ihren Vieren herumzutänzeln, hüpfte irgendwie ruckhaft immer höher, drehte irgendwie vollkommen durch
und rannte ihrem Schwanz nach. Kurz dachte ich schon, ich hätte sie verloren,
als ich einmal knurrig tief bellte. Und da war sie wieder: still, ruhig, mit klarem
Blick und einem hechelnd triefendem Dauerlächeln in einer perfekten
selbstbestimmten Sitzhaltung. Ich lächelte mit dem Barlächeln zurück, das man
ansonsten aufsetzt, wenn man die Dame warmhalten möchte, aber trotzdem noch
einen Blick in den Club wagt, um zu sehen, wer vielleicht noch alles da wäre.
Mein Blick streifte über die weit entfernten Balkone, als
sie von rechts oben ein kurzes ängstliches Japsen und Kläffen ansetze. Ich
schaute zur ihr und Bruce Willis trat mit geschlossenen Augen auf den Balkon, stützte
sich dort erst auf seine Arme, breitete diese dann mit einem großen, tiefen
Seufzer Richtung Sonne aus und gab der nun jämmerlich kläffenden Köterin einen
Tritt. Zwei Kleinkinder stürmten auf den Balkon und zogen sie unter lautem
Lachen am Schwanz in die Wohnung hinein. Sie war weg.
aloha
Jürgen Weishäupl