Wien, Montag 27. April 2020


Liebe Freunde,

ich bin am Samstag mit dem Auto von Palermo nach Wien gefahren. Ich bin ein paar Mal stehen geblieben um zu tanken, um meine Autocertificazione zu zeigen, um Grenzen zu übertreten, um einen Corona-Test zu machen und um mein Handy aus einem See zu fischen.

Ich bin gesund in Wien angekommen. Irgendwann werden wir uns wiedersehen.

aloha

Jürgen

Palermo, Freitag 24. April 2020


Liebe Freunde,

das Weltgeschehen ist eine lange Liste von Fragen, die dann irgendwie beantwortet werden. Zum Beispiel: Wohin gehe ich heute mit meinem Hund Gassi? Die Frage wird sicher beantwortet. Oder: Dürfen Schauspieler auf der Bühne küssen, wenn sie in einem Haushalt leben? Oder: Kann man mit der Kraft des Geistes seinen eigenen Haarwuchs stoppen? Oder: Was tun wir jetzt mit dem Auto?

Die Frage kam von meiner Schwiegermutter und sie meinte den Mega-Pick-Up meines Schwiegervaters. Und weiter, ‚wenn Du ihn brauchst, nimm ihn’. Ich sagte ‚OK, sehr nett, aber ich hab ja ein Auto in Wien’. ‚Dann also Verkaufen’, meinte sie und ich bot an mit dem Händler zu reden, bei dem mein Schwiegervater einst den Wagen gekauft hatte.

Das war ein guter Grund, wenn auch ein relativ hoffnungsloser, denn Autogeschäfte dürfen nicht öffnen, aber das Geschäft liegt direkt am Hafen, das ist einfach eine gute Gegend. Und wie ich schon vermutet hatte, war das Geschäft geschlossen jedoch der Besitzer stand davor. Sofort erinnerte er sich an meinen Schwiegervater, an seine Freunde und anscheinend sogar an mich. Der Autoverkäufer ist sehr elegant, mit Schnauzer, so ein Clark Gable-Typ und ist 76 Jahre alt, wie er mir später unter jubilierendem Herumgehupfe anvertraute. Und er ist ungefähr 140 groß, eine Art Bonsai-Gable.

Er schaute sich das Auto an, ‚leider verkratzt’, sagte er, als wäre es sein eigenes. Es tat mir selber leid für ihn und dann ging das ganze Gelaber los, wo er am Ende sagte, also 4000 könnte er mir geben, wenn er es verkauft, ja wenn, wer weiß, Corona, schlimme Zeiten, Geschäft geschlossen, ja wenn und wer weiß wann, ja wann, wer weiß das schon. Ich wusste es auch nicht und Schulter zuckend lächelten wir uns an.  Ich soll am Nachmittag wieder kommen, dann würde sein Sohn Fotos machen. ‚Ich bin ja nur der Mittler’, sagte ich, ich werde es meiner Schwiegermutter ausrichten.

Der Sohn war ein typischer Palermo-Verschnitt aus Rocker mit Anleihen aus Punk und Top Gun. Seine Sonnenbrille nahm er nur ab, um den Tachostand zu kontrollieren. Wie sich herausstellte, war er Anfang der 90er nach Berlin gegangen und um mir irgendwie verständlich zu machen, was er dort wohl alles erlebt in den besetzten Häusern hat, bewegte er seine rechte Hand ungefähr einen Meter auf und ab und sagte dann lange und ansteigend: ‚OOOOOOHHHHHH.’ Und dann ein kurzes MIIIIH. Das ist die Abkürzung für ‚minchia’, was männlicher Schwanz bedeutet. Dann schaltete er blitzschnell in ein scharfes ‚Jawohl’ um, und das darauffolgende grelle Lachen ging dann in einen eher härteren Raucherhusten über. Als er sich wieder von den Knien erhob, räusperte er sich brodelnd einen enormen Halsschleim zusammen und ich dachte, jetzt spuckt er gleich einen riesigen grünen Batzen auf den Gehsteig. Ein bisschen beschämt, weil er merkte, dass ich ihn ertappt hatte, lächelte er mich an und schluckte den Brocken hinunter.

Eigentlich hätte ich jetzt heute hin fahren sollen, um den Wagen einem potentiellen Kunden zu zeigen, aber jetzt brauche ich ihn doch selber. Ich fahr nach Wien.

aloha

Jürgen

Palermo, Sonntag 17. April 2020

Liebe Freunde,

zum Auftakt von #weact habe ich ja meine Liebe zur südlichen Bürokratie beschrieben und Bettina wollte jetzt von mir eine neue Erzählung aus meinem Exil. Der Idioten-Blogeintrag von Feuerwehrfesten war ihr aber scheinbar zu hart für das zarte Vorarlberger Gemüt, die sexuellen Sonderlichkeiten meines Zwergdackels wohl zu wenig interessant und darum schreibe ich jetzt einen neuen über italienischen Salat.

Es gibt ja die verschiedensten Zeittheorien. Wenn ich jetzt zum Beispiel sag, dass die Zeit seit dem Lockdown wie im Flug vergangen ist, dann bedeutet das, dass es mir in der Nachbetrachtung nur wie ein paar Tage vorkommt, aber das nur aus dem Grund, da ich die Tage in meiner Erinnerung nicht voneinander unterscheiden kann. Seit ich nun vor knapp einem Monat von Dornbirn nach Palermo geflüchtet bin, fühlen sich viele Abende so an, aber nur ganz wenige Tage. Im Land der Balkonsänger ist immer etwas los.

Auch in Palermo sind wir jetzt nach Ostern in die begehrte Phase 2 upgegradet worden. Jetzt dürfen auch Kinderbekleidungsgeschäfte wieder öffnen, sonst lernen die Kleinen das Dauerkonsumieren ja nie, und auch Büchereien und Textilreinigungen dürfen wieder aufsperren. Schon in Phase 1 gab es aber in Italien ein anderes Verständnis von ‚absolut zum Überleben wichtig’ als in Österreich. Tierhandlungen zum Beispiel oder Baumärkte und Parfümerien. Das wird wohl an der ‚italienischen Dusche’ liegen, erörterte ich mit meinen italienischen Freunden. Da dies in Italien aber kein Begriff ist, erklärte ich Ihnen, dass dies im Deutschen heißt, man wäscht sich nicht, sondern parfümiert sich nur ein. Das kommt hier als nationale Beleidigung an, wir Deutschen wären die Hygieneferkel, würden immer stinken, uns nie waschen und die gleichen Socken eine Woche tragen, ja uns Deutsche könne man schon um die Ecke riechen. Obwohl sie wissen, dass man Österreicher ist, wird man in der Beschimpfung in den Sammelbegriff ‚Crucco’ miteinbezogen, da sind alle mit drin, die Deutsch reden. Eine ähnlich heftige Reaktion bekommt man, wenn man ihnen erzählt, was wir als italienischen Salat bezeichnen, der heißt hier russischer Salat. Leonerwurstwürfel und Erbsen mit Mayonnaise überschütten: dass eine solche kulinarische Verirrung mit Italien assoziiert wird, das bringt einen Italiener auf die Palme. Man muss sagen, auch bei uns hat der italienische Salat seine Blütezeit schon hinter sich. Ich kann mich an Jeder-bringt-was-zum-Essen-oder-Trinken-Partys in meiner Jugend erinnern, wo sich die italienischen Salate auf dem Buffettisch stapelten.

Aber Partys sind ja momentan sowieso verboten, auch hier in Palermo. Um das zu kontrollieren, fliegen sie hier den ganzen Tag mit Hubschraubern herum, damit nur ja keine Flachdachparties organisiert werden. Aber Palermitaner waren immer schon die Meister des Improvisierens. Und so verwendet man hier Feuerwerkskörper, schießt auf die Hubschrauber und die sind dann weg.

https://youtu.be/bSIEs8ARta4

aloha

Jürgen

Palermo, Ostersonntag, 12. April 2020



Liebe Freunde,

meist sind es ja Schmetterlinge in Brasilien, die dann Tornados in den USA auslösen. Dann gibt es Fledermäuse in China, die zu weltweiten Maskierungen führen. In meinem Fall war es der Regen im Oktober 1992 in Florenz, der mein diesjähriges Ostergeschenk auslöste. So nenne ich nun den hässlichsten Roller, den Piaggio je gebaut hat, mein eigen. Es handelt sich um den Piaggio Super Hexagon GTX 180, ein sogenannter Sofaroller aus dem Jahr 2000, der dem Toten aus der WG meiner Schwiegermutter gehörte.

1992 begann super. Ich hatte in meinem Zirkusbüro einen tragbaren Computer, ein tragbares Telefon, einen tragbaren Drucker und vor allem ein tragbares Faxgerät. Man war dann, was man heute mobil nennt, smart war es jedenfalls nicht – dafür aber meine Entscheidung, mein Herbstsemester anstatt in Wien in Florenz zu verbringen, um des Italienischen mächtig zu werden.

In Florenz lebte ich mich relativ schnell ein: coole WG, süße florentinische Freundin, strenge Italienischschule und lukrativer Marktjob auf Provisionsbasis, man musste deutschen Touristen Plastikjacken als Lederjacken verkaufen. Mein Boss hatte dazu ein geniales Verkaufsmodell ersonnen. Er hatte super Lederjacken. Die Deutschen kamen und ich ließ sie das tolle Leder fühlen, sie konnten die Verarbeitung anschauen, am Leder riechen und dann die Lederjacke probieren. Doch die hatte der Boss so schneidern lassen, dass sie keinem passen konnte. Entweder urlange Ärmel, oder viel zu breite Schultern oder an der Taille zu eng. Sofort hatte ich dann natürlich eine passende Lederjacke vom selben Modell zur Hand und die Deutschen konnten sich im Spiegel gar nicht satt sehen an ihrem Ebenbild in solch einer tollen Lederjacke. Nur war die dann aus Plastik, was die Deutschen aber nicht merkten, da sie ja die Qualität an der unpassenden schon geprüft hatten und sich jetzt nur noch im Spiegel betrachteten. Dann wollen sie die Jacke natürlich kaufen, müssen dann aber den Preis verhandeln, weil das im Reiseführer so drinnen steht, dass man in Italien den Preis verhandelt, vor allem am Markt. Das ist für die immer die größte Qual, da steht dann die Frau, der Freund oder gleich die ganze Reisegruppe daneben und lauscht zu, ob der jetzt das Verhandeln kann oder nicht. Man hörte das Raunen, wenn ich nach dem ersten vom Deutschen genannten Preis die Lederjacke – eigentlich ja die Plastikjacke – einfach wieder aufhängte und ‚Arrivederci’ sagte – und der Boss kam und weiter verhandelte. Bei fünf Prozent Nachlass klopften sie sich dann gegenseitig auf die Schulter, von wegen hartem Verhandeln, aber coole Lederjacke.

Und dann begann der Regen, der Dauerregen, der dazu führte das Florenz zu großen Teilen unter Wasser stand. Ich packte meine Sachen, ging zum Bahnhof, kaufte mir eine Zeitung, schaute wo es in Italien am wärmsten war und kaufte mir ein Ticket nach Palermo.

Und wegen diesem Floretiner Regen suchte ich heuer statt Ostereiern im Garten einen Sofarollerschlüssel im Zimmer eines Toten, denn wegen seiner Schulden wollten die Erben das Erbe nicht antreten, und dann gehören seine Sachen scheinbar dem, bei dem sie sind. Bei Ostereiern geht die Suche immer gut aus, ich kann mich an keine Ostern erinnern, wo ich die Eier nicht gefunden hätte. Aber dieser verdammte Sofarollerschlüssel war nirgends zu finden. Er wird ihn doch hoffentlich nicht eingesteckt haben? Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los, aber ihn deswegen wieder ausbuddeln zu lassen, wäre doch ein wenig übertrieben, dachte ich mir. So bleibt mir nichts als die Vorfreude auf eine schöne Ausfahrt mit meiner Piaggio Super Hexagon GTX 180 und ich hoffe, die wird genau so schön wie mit meiner alten Vespa, die mir leider gestohlen wurde. Wie schön das war:


Frohe Ostern.

Jürgen

Palermo, Mittwoch, 8. April 2020



Liebe Freunde,

Hunde und Polizisten haben mehr gemein, als man auf den ersten Blick annehmen könnte: beide suchen sie gern nach Drogen und grüßen zurück. Das wurde mir heute bewusst. Hunde bellen zurück und Polizisten salutieren zurück. Bei meinen Flanierrunden durch die Wiener Innenstadt ist das einer meiner großen Freuden: Polizisten salutieren. Am freundlichsten salutieren immer die vor Ministerien Wache stehenden Polizisten zurück. Das ist denen ein Reflex, dem sie sich nicht entziehen können – aber noch nie ist mir passiert, dass mir ein Polizist aktiv salutierte, bis jetzt, in Palermo.

‚Autos müssen bewegt wegen.’ Meine Schwiegermutter gab heute diesen Slogan so resolut aus, als würde sie auf der Pay-Roll der Automobilindustrie stehen. Alle drei Autoschlüssel drückte sie mir in die Hand. ‚Ein Wahnsinn, wegen diesem Coronavirus fahren nicht mal die Autos’ und sie erzählte mir von ihrem wunderschönen Traum, den sie hatte: sie wäre im Stau gestanden. Ich starte also den Smart, fuhr ein wenig vor, ein wenig zurück, startete den Yaris, fuhr ein wenig vor und ein wenig zurück, startete den Nissan Megageländewagen meines Schwiegervaters und fuhr los. Das Gefühl im Wagen ist wie auf einem Traktor: die Räder sind ungefähr gleich groß, es ruckelt sanft, man hört die Schläge der Kolben – und beim Fahren durch die Gassen von Palermo muss man nie stoppen, denn hier gilt das Recht des Stärkeren. Es ist ja eigentlich der Jagdwagen meines Schwiegervaters. Ich erinnerte mich zurück, wie ich mit Sperrdifferential die steilsten Hänge in seinem Jagdgebiet hochradierte und er vom Beifahrersitz aus die Vögel vom Himmel ballerte, da war grad Rotkehlchensaison. Die schmecken super und er gratulierte auch meinem Vater bei seinem ersten Besuch in Vorarlberg für seine Falle; mein Vater hatte beim Küchenfenster ein Vogelfutterhaus installiert. Wir mussten meinem Schwiegervater dann erklären, dass man im Ländle die Rotkehlchen anschaut, aber nicht isst. Direkt am Küchenfenster aufgebaut, war das für meinen Schwiegervater nur schwer verständlich.

Heute war ich aber nicht auf Jagd, sondern wollte einfach nur ans Meer. Obwohl eigentlich kein Verkehr war, ging das nur im Schritttempo, da ich hinter einem von der Polizei begleiteten Durchsage-LKW gelandet war. Direkte Straßenkommunikation ist in Palermo sehr beliebt, ob man Gemüse aus seiner APE heraus verkauft, ein mobiles Messerschleifgerät mit sich herum führt oder zu einem Theaterabend einladen möchte: man schreit das gern über mehrere Megaphone in die Straßen hinein, Street-Marketing; ‚Bleibt zu Hause’, war heut die Message:

Ich kam dann doch irgendwie zum Meer und auf dem Weg zurück in eine Polizeikontrolle. Der Polizist übernahm die Begrüßung und salutierte, ich salutierte reflexhaft zurück. Nachdem ich ihm die geforderten Fahrzeugpapiere, den Führerschein und die Autocertificazione – also die Selbstbestätigung – übergab, meinte er: ‚Ah, Sie sind Deutscher’. Innerlich brodelnd antwortete ich in süßlichstem palermitanischem Dialekt: ‚Nein, ich bin Österreicher’. Der Polizist grinste mich jetzt freudig an, und das war auch gut so, denn es gab gleich mehrere Probleme. Die Selbstbestätigungsvorlage des Innenministeriums, die ich mir am Tag meiner Ankunft ausgefüllt hatte, war nicht mehr gültig. Es gibt nämlich mittlerweile eine neue Selbstbestätigungsvorlage, er zeigte sie mir und leider war das wirklich ein ästhetischer Rückschritt, denn es gibt auf der neuen zwar noch ein paar Felder mehr zum Ankreuzen, aber kein schönes Riesenlogo vom Innenministerium mehr. Das wäre gar kein Problem, sie würden jetzt einfach für mich die alte Selbstbestätigung auf das neue Formular übertragen, versicherte mir der Polizist. Damit reichte er der Politesse meine ganzen Unterlagen und erzählte mir in der Wartezeit, wie schön Wien wäre, dass er schon zweimal dort gewesen wäre: einmal mit Freunden und einmal mit seiner Frau, wobei er mir mit einem unmissverständlichen Gesichtsausdruck zu verstehen gab, dass der Besuch ohne Frau wahrscheinlich der mit höherem Erinnerungswert war. Weil wir uns jetzt so gut verstanden, war dem Polizist der Sicherheitsabstand wurscht, er lehnte sich an mein geöffnetes Fenster und wollte mir gerade Details seines ersten Wienaufenthaltes erzählen, als uns die Politesse mit der Bemerkung störte, ich hätte ‚Filmen und Einkaufen’ als Grund für mein Außer-Haus-Sein angeben. ‚Warum filmen?’ Ich hätte einen Blog, sagte ich. Dann ist er also ein Journalist, sagt der Polizist zur Politesse. Dann brauche ich seinen Journalistenausweis, sagte die Politesse zum Polizist. So was gibt es bei uns in Österreich nicht, sagte ich zum Polizist. Dann streichen wir halt von der Selbstbestätigung ‚Filmen’ und schreiben nur ‚Einkaufen’, sagt der Polizist zur Politesse. Das tat sie. Der Polizist und ich grinsten uns noch einmal zu, salutierten und dann fuhr ich heim.

Jürgen Weishäupl



Palermo, Sonntag 5. April 2020


Liebe Freunde,

jetzt sitz ich auf meiner Insel im Mittelmeer und denke plötzlich an Zuhause, ans Hoamatle, oh Hoamatle. Dabei schau ich mir die ganzen Kinderfotos meiner Schulfreunde auf Facebook an, wo überall drunter steht ‚Challenge angenommen’. Oh Gott, denke ich, schon wieder eine Challenge und denke verängstigt daran zurück, als mich der Bürgermeister von Triest in so einer Challenge nannte und ich mir zum Gaudium der lokalen Medien einen Eiskübel über den Kopf schütten musste. Jetzt könnte ich nicht mal teilnehmen, meine Kinderfotoalben sind ja alle daheim. Da bleibt einem nichts anderes übrig als ohne Fotos in den Kindheitserinnerungen zu stöbern. Und da fallen mir sofort Feuerwehrfeste ein. Die gab es in meiner Kindheit zuhauf. Man nannte einfach alles Feuerfest, egal ob es jetzt das ‚Zeltfest des FC Unterfeld’ oder das ‚Zeltfest der Lauteracher Pfadfinder war’, man sagte einfach immer ‚Feuerfest’. Das steht für Qualität und ist wahrscheinlich ähnlich wie beim Papiertaschentuch. Da sagt man auch ‚Hosch a Tempo?’ und setzt verwundert hinzu ‚Oh, it’s a Feh’.  Feuerwehrfeste verbinde ich sofort mit dem Song ‚Frau Meier’

Frau Meier, Frau Meier,
hot gelbe Unterhosen an,
mit rote Mascherln dran,
ja das ist schön.

Das Lied entfachte schon in meiner Kindheit die wildesten Fantasien, das mit der gelben Unterhose konnte ich mir vorstellen – aber wo sind dann dort die roten Mascherl dran? Bis heute grüble ich darüber nach. Außer an gelbe Unterhosen denke ich bei Feuerwehrfesten auch immer an unseren Dorftrottel. Also wir hatten eigentlich zwei Dorftrottel, der eine ging immer auf Feuerfeste, der andere immer in die Sonntagsmesse. Der, der auf die Feuerwehrfeste ging, konnte reden und war groß, sehr groß, er hatte rote Haare und einen immer roten Kopf: daher nannte man ihn auch den Sozi. Andere Zuschreibungen wie Mostschädel oder Suffkopf verband ich daher viele Jahre lang mit dem Sozialismus. Während also der Sozi riesengroß war, war der andere Dorftrottel, klein, sehr klein sogar und redete nicht. Wenn er mal einen Laut von sich gab, dann war das irgendein unverständliches Gebrummel. Meine Großmutter erklärte mir auch, was passiert war: Als er klein war, wurde er von einem Auto überfahren und da ist ihm das Hirn ausgeronnen und weil sie im Krankenhaus kein menschliches Hirn hatten, hat man ihm dann ein Kalbshirn hineingegeben. Darum heißt er auch Kalb. Eh logisch. Darum kann er auch nicht mehr reden, sondern das ist also ein Muhen. Doch das tat er fast nie, wenn man ihn grüßte, hat er nie zurückgemuht, das tat er nur, wenn wir ihn mit Steinschleudern beschossen. Dann hüpfe er auf seinen Hinterfüßen herum und muhte uns zu.

Der Sozi dafür redete gerne und immer. Auch, wenn er ganz allein war, lange bevor es Handys gab. Er war auch richtig beliebt. Wenn er auf ein Feuerwehrfest kam, dann gab es gleich ein Gegröle und alle winkten ihm zu. Egal wo er sich hinsetzte, man spendierte ihm sofort ein Bier. Einmal setzte er sich zu uns an den Tisch und ich kratzte mein Taschengeld zusammen und kaufte ihm ein Bier, weil ich dachte das gehört sich so. In der Musikpause schob man dann den Sozi immer auf Bühne, und dort wo vorher der Bürgermeister das Feuerfest eingeweiht hatte, durfte dann der Sozi reden. An den Inhalt der Reden kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das ganze Feuerwehrzelt konnte sich vor lauter Lachen nicht halten. Das wurde nur noch gesteigert, wenn es ihn von der Bühne runtergebrackt hatte, das passierte immer wieder mal, dann musste man den Sozi aus dem Schlamm ziehen – und er bekam unter großem Beifall ein nächstes Bier.

Prost



Jürgen Weishäupl

Palermo, Donnerstag 2. April 2020



Liebe Freunde,

wer sich ein wenig mit Fußball auskennt, der kennt sich jetzt aus: ab Mai bis Juni werden die nationalen Liegen gespielt, von Juli bis August die internationalen. Das wär jetzt mal geregelt, dachte ich mir bei einem vorgezogenen Fußballbier auf dem Südbalkon. Der Südbalkon hat einen großen Nachteil: er ist schmal. Die Terrasse hat einen großen Vorteil: sie ist groß, sehr groß. Meist verbringe ich die Zeit auf der Terrasse, belle dort in der Freizeit und lächle während der Arbeitszeit hämisch in die Videokonferenzen, wenn die anderen im Hintergrund mit Schneegestöber und ich mit Blüten dasitze. Auf der Terrasse ist es angenehm kühl, sie geht Richtung Norden und man kann dort gut arbeiten, oder eben bellen. Jetzt ist es aber in Palermo ein wenig kühl geworden, zu kühl für lange Arbeitssessions auf der Terrasse und darum ziehe ich mich immer wieder auf den Südbalkon zurück, lasse mich ein wenig von der Sonne aufwärmen, rauche eine Zigarette, nehm einen Kaffee, hör ein wenig Musik und blöderweise hab ich gestern auch dort mit dem Bellen angefangen.

Der Südbalkon geht zur Stadtautobahn, darum geht man dort eigentlich nie hinaus; der Lärm, die Abgase, die Huperei, alles ein Wahnsinn. Aber jetzt, dank Corona, sachtes Dahinbrummen von manchmal auftauchenden Autos und fast schon übertriebenes Vogelgezwitscher. Anstatt einfach gemütlich dort zu sitzen und die Sonne zu genießen, hat es mich irgendwie gerissen – ich hab’s erwähnt - ich musste anfangen zu bellen. Die Resonanz war ernüchternd, von weit weg nur eine zaghafte Bellantwort, von der ich nicht einmal sagen kann, dass die auf mich zurückging. Aber die Ausgangslage ist auch wahrlich schwierig, denn bis zum nächsten Haus über der Stadtautobahn sind es sicher hundert Meter. Kein Problem, dann halt kein Gebelle, dachte ich mir, während ich mein Hemd wegen der Hitze auszog und kurz überlegte, ob ich mich wegen meinem empfindlichen Teint mit Sonnencreme einschmieren sollte. Ich entschied mich für ein weiteres Fussbalbier und den Spotify-Vorschlag ‚Mixtape der Woche’ und Franky sang mir ‚It Was A Very Good Year’ ins Ohr.


In Erinnerungen schwelgend und freudig an meinem gut gedeihenden Coronabart kratzend, machte plötzlich mein rechter Ohrstöpsel total quietschend kratzende Geräusche, so wie man das kennt, wenn die ganze Tonanlage auszuckt, nur weil man die Klinken bei voller Lautstärke umstöpselt. ‚Um Gottes Willen’, krachte es mir in den Sinn, als Franky gerade von den City-Girls mit den parfümierten Haaren sang, ‚kein Elektrogeschäft hat offen’. Ich riss mir die Ohrstöpsel heraus, aber das Geräusch hörte nicht auf. Ich blickte Richtung Schallquelle und da kläffte sie sich das Herz aus der Seele: Sie war ein kleiner Köter, vielleicht auch männlich oder Trans, aber mit Franky im Ohr für mich definitiv eine Sie. Wir schauten uns tief in die Augen, sie saß kaum weiter als zehn Meter von mir entfernt auf dem Balkon rechts von mir einen Stock höher. Sie hörte sofort mit dem grausigen Gekläffe auf und bewegte sich nicht mehr, ich tat es ihr gleich, und in einer nicht zu beschreibenden Innigkeit wussten wir beide plötzlich, dass sich unsere Wege nicht aus Zufall gekreuzt hatten. Sie fing an, mir mit einem ganz hohen Ton ihre Zuneigung zu gestehen, ich musste mich zwar noch kurz räuspern, tat es ihr dann aber gleich und pfiff ihr den Refrain von ‚It Was A Very Good Year’ zu. Sie begann ganz schüchtern auf ihren Vieren herumzutänzeln, hüpfte irgendwie ruckhaft  immer höher, drehte irgendwie vollkommen durch und rannte ihrem Schwanz nach. Kurz dachte ich schon, ich hätte sie verloren, als ich einmal knurrig tief bellte. Und da war sie wieder: still, ruhig, mit klarem Blick und einem hechelnd triefendem Dauerlächeln in einer perfekten selbstbestimmten Sitzhaltung. Ich lächelte mit dem Barlächeln zurück, das man ansonsten aufsetzt, wenn man die Dame warmhalten möchte, aber trotzdem noch einen Blick in den Club wagt, um zu sehen, wer vielleicht noch alles da wäre.

Mein Blick streifte über die weit entfernten Balkone, als sie von rechts oben ein kurzes ängstliches Japsen und Kläffen ansetze. Ich schaute zur ihr und Bruce Willis trat mit geschlossenen Augen auf den Balkon, stützte sich dort erst auf seine Arme, breitete diese dann mit einem großen, tiefen Seufzer Richtung Sonne aus und gab der nun jämmerlich kläffenden Köterin einen Tritt. Zwei Kleinkinder stürmten auf den Balkon und zogen sie unter lautem Lachen am Schwanz in die Wohnung hinein. Sie war weg.


aloha

Jürgen Weishäupl


Palermo, Dienstag 31. März 2020



Liebe Freunde,

Die letzte Woche war urfad. Es schiffte in Einem durch. Die ganze Stadt war überschwemmt, das war jedem wurscht. Zu normalen Zeiten fahren sie dann mit ihren Rostkübeln trotzdem mitten in die innerstädtischen Überschwemmungsgebiete. Das Wasser rinnt somit in den lecken Auspuff – so was wie ein Pickerl gibt es hier nicht, man reitet das Auto bis zum Schluss – und das Auto verreckt natürlich in den Wassermassen. Dann geht gar nichts mehr weiter und alle schimpfen auf den Bürgermeister, der könnte doch endlich mal die Kanalisation reparieren und der schimpft auf den vorigen Bürgermeister, das hätte der ja machen sollen. Aber jetzt gab es nur ein niedliches Youtube-Video, wie ein Hundewelpe durch die Altstadt schwimmt, und der Bürgermeister bedankte sich bei den Bürgern, dass sie alle so brav zu Hause blieben.

Auch ich blieb zu Hause. Zum Metzger darf ich nicht mehr, nachdem meine Frau meiner Schwiegermutter meinen Blog übersetzte und heraus kam, dass unsere Mortadella wahrscheinlich coronaverseucht ist. Sie landete im Biomüll. Mein Weg führte mich die Woche vom Kinderzimmer meiner Schwägerin zur Terrasse, von der Terrasse in die Küche, von dort ins Wohnzimmer, dann wieder zurück in mein Kinderzimmer-Homeoffice und dann wieder auf die Terrasse zum Rauchen. Da ist es jetzt still. Den Palermitaner ist die Balkonsingerei auch irgendwann zu deppert geworden und sie widmen sich anscheinend lieber der häuslichen Gewalt. Das ist sogar den Hunden zu viel und die sitzen jetzt alle auf den Balkonen und schauen unmotiviert durch die Gegend. So bin ich zu meinem neuen Hobby gekommen. Das hat mir mein guter Freund Jimmy vor vielen Jahren beigebracht: Wenn man bellt, dann bellen auch die Hunde. Ist irgendein komisches Imprinting bei denen. Ich mach das einmal am Morgen nach dem Frühstück und dann am Nachmittag irgendwann zwischen Kaffee und Aperitif. Ich bin da schon richtig gut geworden und feile täglich an meiner perfekten Bellstimme. Man darf nicht zu hoch bellen, auch nicht zu tief, das Bellen muss sympathisch klingen, aber doch bestimmt, nicht aggressiv, sondern einfach zum Mitbellen animieren. Das tun die ganzen Hunde auf den Balkonen dann auch leidenschaftlich. Meist muss man nur einmal richtig animieren und dann geht es eh automatisch weiter, meist finden sich genug Hunde, die dann mit ihrem Bellen auch noch weitere Balkone anstecken. Wenn es droht abzuflachen, kann man einfach nochmals hinein bellen. Man kann auch Variieren, also so tun, als wäre man selber eigentlich mehr als nur ein Hund. Dann vielleicht doch mal kurz hoch bellen. Auch gut kommt für zwischendurch so eine Art knurrendes Bellen, das macht aber total heiser, das schaff ich meistens nur, wenn ich schon beim Aperitif bin.

Dafür ist es schön zu beobachten, dass sich die Sizilianer wieder ihrer Traditionen und lokalen Werte besinnen. Das soll ja auch bei uns so sein, wie ich höre, man häkelt Topflappen, isst die Eier aus dem eigenen Dorf und wird selber Erntehelfer. Hier wendet man sich einer verloren gegangen Kulturtechnik zu, dem so genannten Banditismus. Über Jahrhunderte waren hier ganze Dörfer in diesem Berufszweig tätig und da dachten ein paar gelangweilte Palermitaner, das könnte man ja einfach wieder mal aufleben lassen. Technologisch hochgerüstet planten sie ein Banditentum 4.0 und gründeten eine WhatsApp-Gruppe. Die Idee war ganz einfach: Man macht sich einen Supermarkt aus, vermummt ist man eh schon, dann stürmt man gemeinsam hinein, holt das Geld aus den Kassen, nimmt noch ein paar Schokoriegel und Kaugummis mit, keiner rangelt, weil sie ja alle den Sicherheitsabstand von einem Meter einhalten müssen und man geht wieder unerkannt hinaus. Die Idee war so genial, dass sie die Idee auf What’s App weiter teilten und wahrscheinlich auch mit irgendeinem, der nichts vom lokalen Kulturerbe verstand und die Carabinieri kontaktierte. Die Carabinieri fanden das eine super Möglichkeit zu zeigen, dass sie trotz Coronavirus voll einsatzfähig sind und verständigten die Medien. Die Medien berichteten groß darüber, und die Palermitaner fanden, da wär jetzt endlich mal was los, das Wasser in den Strassen war eh gesunken, und fuhren alle hin. Außer einem Stau passierte dann nichts, denn der Zeitpunkt war schlecht gewählt: der Papst hatte in seiner Sündenerlass-Fixierung ja noch einen drauf gelegt und am Tag zuvor einen Generalablass für alle vor den Fernsehgeräten oder über sonstige neue Geräte zugeschalteten Gläubigen verfügt.

Es tut halt jeder sein Ding. ‚Do your Thing’, super Song von Moondog:



Aloha,

Jürgen Weishäupl




Palermo, Samstag 21. März 2020



Liebe Freunde,

der Bürgermeister von Palermo ist fuchsteufelswild. ‚Das ist ein Befehl, keine Bitte!’, schrie er in seinem Online-Video. Die Palermitaner wollen einfach nicht zu Hause in Quarantäne bleiben und tun halt weiter, was sie immer tun. Das bedeutet das in Gruppen auf der Straße herumstehen und die aktuelle Lage zu beklagen, meist ist es das Wetter, der Müll, die schlechte Internetverbindung, die Regierung und der Bürgermeister – und jetzt halt Corona. Ist ja wirklich ärgerlich, aber wie man sich erzählt, soll das jetzt bald vorbei sein. Bei 27 Grad – so die einhellige Meinung in Palermo – stirbt das Virus ab, jetzt haben wir 20 Grad, kann sich also nur noch um Tage handeln bis das Virus hier in Palermo keine Überlebenschance mehr hat.

Nun stehen Palermitaner aber nicht nur auf der Straße herum sondern sie haben auch Traditionen. Wie wir im Ländle zündeln sie gern. Wir haben es ja gerade noch geschafft, unsere Funken vor der Ausgangssperre abzubrennen, aber die ‚Fuochi di San Giuseppe’, also die Funken für den heiligen Josef, brennt man in Palermo grad jetzt ab. Im Land des Papstes ist man katholisch und tut alles, um nicht irgendwann in der Hölle zu schmoren. Das Josefsfeuer funktioniert ein bisschen anders als bei uns, wo es Funkenzünfte gibt und wo man sich irgendeinen Platz im Grünen aussucht, die Feuerwehr in Planung und Durchführung mit einbindet und, wenn es ganz rührig wird, Volksschulkinder den Funken anzünden dürfen.

Hier in Palermo baut jeder, der will, irgendeinen Haufen mit brennbarem Zeug zusammen und zündet diesen an. Das macht man auf der Straße oder auf einem kleinen Platz, wo es sich halt grad ausgeht. Viel Benzin drauf ist immer gut, dann macht das so einen tollen WUMMS beim Anzünden. Anschließend wartet man, bis er abgebrannt ist – oder die Feuerwehr kommt und den Funken löscht. Zurück bleibt dann eine schwarze stinkende Skulptur, die sich meist erst gegen Ostern mit dem Regen langsam auflöst. Der Freiwilligeneifer der meist Jugendlichen ist manchmal so groß, dass sie riesige Funken auf kleinen Plätzen bauen und dann auch noch die ganzen Fenster rundum zerspringen. Der Coronavirus hat diese Tradition jetzt nicht so sehr unterbrochen und laut offiziellen Angaben sind gestern von der Feuerwehr an die 50 Funken gelöscht worden bevor sie ausbrannten.

Doch auch andere katholische Traditionen werden in Palermo hoch gehalten. Das Rosenkranzbeten zum Beispiel. Während die Funken eher die männlichen Katholiken als Zielgruppe hat, ist es beim Rosenkranz eindeutig die weibliche Zielgruppe, die hier von mehreren TV- und Radiostationen bedient wird. Die Werbespots zwischen den Rosenkränzen zeugen hier von einem großen Markt für Gebetsartikel, Pilgerreisen, Rheumaprodukte und Schmerzmittel. Es gibt sogar einen Tee, der bei Altersinkontinenz hilft. Wie jede TV-Anstalt versuchen natürlich auch die Bet-TVs sich gegenseitig zu überbieten. Es ist wie beim Fußball. Die RAI hat die Morgenmesse vom Papst, das Berlusconi-TV einen hübschen Priester und andächtige Nonnen im Morgenprogramm und die Ganztagesgebetssender haben ein Mitmachprogramm. Jetzt bieten alle Sender spezielle Corona-Rosenkranz-Sessions an und ein neuer Satelliten-TV-Bet-Sender hat auch noch szenographische Angaben gemacht, wie man beim Beten auch gleich noch den Coronovirus abwehren kann: dazu soll man während dem Beten des Rosenkranzes zwei Kerzen auf den Balkon stellen. Die Italiener haben ja alle einen Balkon, darum haben sie ja auch mit dieser Corona-Balkon-Musik begonnen. Eine Mutter und ihre Tochter im volkstümlichen Brancaccio-Viertel schauten das neue Satelliten-TV-Betprogramm und waren so vertieft in ihren Rosenkranz, dass sie erst viel zu spät merkten, dass die Balkonvorhänge Feuer gefangen hatten. Vielleicht haben sie auch gedacht, es wäre ein Wunder: Gott zeigt sich ja gern in einem brennenden Dornbusch, warum nicht auch auf einem brennenden Balkon. Jetzt war es jedoch so, dass alle Feuerwehrleute in Palermo wie wild die San-Giuseppe-Feuer löschen waren und Wohnung der Betenden daher richtig gut ausbrannte und Mutter und Tochter auch noch leichte Verbrennungen erlitten. 

Übrigens wird morgen für 27 Grad gebetet, der Wetterbericht ist noch dagegen, aber bei gemeinsamer Gebetspower wird sich das sicherlich noch ändern. Und noch eine gute Nachricht, die gestern Abend alle Nachrichtensender verbreiteten: der Papst hat jetzt erklärt, wie man seine Sünden vergeben bekommt ohne bei einem Priester zu beichten:


diese Breaking News behielt sich der Vatikan für seinen eigenen Youtoube-Blog vor. Wer noch ein wenig warten kann, bekommt die Vergebung aber eh automatisch. Neueste Breaking News von heute: Ostern wird nicht verschoben und es gibt einen Generalablass.


Jürgen Weishäupl

Palermo, Freitag 20. März 2020



Liebe Freunde,

heute wollte ich es mir einfach mal gut gehen lassen und hab mir eine neue Schutzmaske gegönnt. Ich hab so ein Modell mit einem eingearbeiteten Draht, da kann man die Maske perfekt an die eigene Nasengröße anpassen. Das ist total hilfreich, so kann man verhindern, dass beim Ausatmen ein Großteil der Luft nach oben entweicht, einem die Sonnenbrille beschlägt und man halbblind auf der Straße herumtorkelt.

Mit glasklaren Blick und einem konkreten Auftrag wagte ich mich ins Zentrum unseres Viertels. Die Mortadella war ausgegangen und der Fleischer meines Vertrauens hat die beste Mortadella weit und breit. Das sagt er auch immer, wenn er die Mortadella aufschneidet, ‚Aahhh, so eine gute Mortadella, buonissima’. Wie immer lächelte er breit über sein sonnengebräuntes Gesicht, seine Goldketterln schepperten über seinem Fleischerbauch und weil er es ja gut mit einem meint, schnitt er gleich 300 anstatt der bestellen 200 Gramm auf. Er meint es immer gut mit einem, bestellt man ein Kilo bekommt man zwei, will man ein Stück Käse und er zeigt dann mit dem Schneidemesser die vorgesehene Schnittstelle an, entscheidet er sich im letzten Moment für einen und schneidet einem ein viel großzügigeres Stück ab und lacht einem herzlich ins Gesicht, alle lachen auch immer retour, keiner hat sich je beschwert. Der Fleischer ist auch mehr wie ein Fleischer, er ist ein Freund, ein ewiger Pfadfinderführer, der einem hilft, das Auto zu finden, wenn es geklaut wurde oder freundlich aber bestimmt mit dem Nachbarn ein ernstes Wörtchen redet, wenn der schon wieder die Müllsäcke vor die Einfahrt gestellt hat. Bei ihm ist auch alles super, die Kassa aus Mahagoni, der Cognac hinter Kristallglas und in den Vitrinen hat er auch das rote Licht, dass auch der älteste Brocken Fleisch noch frisch ausschaut. Kein Wunder, dass bei ihm die Geschäfte besser laufen als bei seinem hageren und blassen Fleischernachbarn gleich ums Eck, bei dem die Fliesen von den Wänden bröckeln und das grünlich blinkende Neonlicht nur zu deutlich macht, dass er höchsten alle paar Tage eine Scheibe von seiner Mortadella schneidet, so angeranzt ist die schon am Eck.

Auch heute war es wieder so, bei ihm volle Hütte, beim Nachbarn tote Hose. Man fühlte sich bei ihm wie immer und plötzlich verklebte sich dieser Gedanke in meinem Gehirn zu einem Angstklotz. OH GOTT, ES IST SO WIE IMMER. Seine Goldzähne im Grinsegesicht sehe ich ja nur, da er keine Maske trägt. Mit beklemmenden Gefühl verließ ich den Fleischerladen und musste nun an mir selbst erleben, dass mein Körper und vor allem mein Hirn mit einer solchen Stresssituationen nicht richtig umgehen kann. Als Gegenreaktion sang ich auf dem ganzen Nachhauseweg in Dauerschleife

‚Wenn das so weiter geht
bis morgen früh ja früh
steh’n wir im Alkohol
bis an die Knie.’

Zuhause angekommen, entdeckte ich bei meiner Recherche, dass es noch eine zweite Strophe gibt:

Wenn das so weitergeht
im nächsten Jahr
ham wir´s Delirium
Hallelujah

Diese Strophe ist dem 1930 erschienen Roman ‚Vaterlandlose Gesellen’ des Arbeiterschriftstellers Adam Scharrer entlehnt und wird eigentlich nie gesungen. Trotzdem kam ich aus meiner Bierzeltlaune nicht mehr heraus und habe für alle, die heute Abend um 19:30 Uhr auch mit mir beim Zoom Wohl Meeting anstoßen wollen schon mal die richtige Musik zum einschunkeln:


Wer die Rückseite der Platte bis zu Ende hört, kommt auch in den Genuss der prophetischen Textzeile:

Am 30. Mai ist Weltuntergang,
wir leben nicht mehr lang,
wir leben nicht mehr lang.


Zoom Wohl



Jürgen Weishäupl

Palermo, Dienstag, 18. März 2020


Liebe Freunde,

es geht uns ja allen momentan irgendwie gleich, man erkennt plötzlich Dinge, die einem vorher nie im Leben aufgefallen wären. Ich erkenne zum Beispiel den Unterschied zwischen verschiedenen Desinfektionsgels. Das erste Fläschchen, das ich ständig bei mir trug war total erfrischend, richtig fein war das. Sobald ich dieses furzähnliche Geräusch hörte, welches den Gelerguss in meine Hand begleitete, spürte ich schon diese angenehme Kühle, die sich dann verstärkte wenn man sich die Hände rieb. Ich hab mich sogar dabei ertappt, dass ich mir bei zu viel Gelauftrag das Gel zur Erfrischung und Linderung meines Sonnenbrands ins Gesicht schmierte. Jetzt ist alles anders. Ich habe ein neues Gelfläschchen und mag das gar nicht. Es furzt nicht, sondern macht ein komisches Gurgelgeräusch, es ist nicht erfrischend und kühl und vor allem pickt es. Sicher eine halbe Minute lang kleben einem die Finger aufeinander und wenn man es oft hinter einander verwendet, dann hat man plötzlich so radiergummirestähnliche Rubbelknödel in der Hand, so wir mir das gestern Nacht passierte, wenn man sich dauernd einschmiert, da man Carabinieri, Notärzte und einen Toten in der Wohnung hat.

Ein Mieter in einer WG meiner Schwiegermutter starb und ich führte zum ersten Mal meine neuen Turnschuhe aus. Mit einem überschwänglichen ‚Endlich’ - als würden wir Brot nach einer Hungernot bringen - begrüßte uns in der Wohnung der halbdicke Carabiniere, der jedoch gleich auf ‚sofort’ in einen Dauer-subito-subito-subito-Gesang wechselte, da er fälschlicherweise annahm wir hätten jetzt eine Ausweiskopie des Toten mitgebracht. Die Notärzte und das Rettungsteam stimmten in den Gesang ein, sie bräuchten den Ausweis, sie bräuchten den Ausweis, sie bräuchten den Ausweis, sonst wissen sie ja nicht, auf wen sie den Totenschein ausstellen sollen. Der Carabiniere immer weiter ‚Subito, subito, subito, wir brauchen eine Ausweiskopie, bringen sie die’. Meine Schwiegermutter dazu ‚Der Vertrag mit der Kopie liegt im Büro, ich muss die Sekretärin fragen’, ‚subito, subito, subito’, der Carabiniere. ‚Wie sollen wir den Totenschein ohne Ausweis ausstellen?’, die Notärzte, ‚Da muss ich die Sekretärin fragen’, meine Schwiegermutter, ‚Subito, subito’ der Carabiniere, der dann plötzlich umschwenkte, den Sicherheitsabstand von einem Meter nicht mehr einhielt, meine Schwiegermutter zur Seite zog und überlegen meinte, er wisse schon, warum sie den Vertrag mit der Ausweiskopie nicht holen will, weil sie das Zimmer sicher schwarz vermieten würde. Eine Frechheit, meinte meine Schwiegermutter und wollte gerade loslegen, da schritt ich ein und sagte mit einem Tonfall, wie ihn in italienischen Kriegsfilmen die Nazis haben: ‚Wenn der Tote hier wohnt, wird er wohl in seinem Zimmer einen Ausweis haben. Sie gehen jetzt in das Zimmer und suchen den Ausweis, parallel kontaktieren wir die Sekretärin, um den Ablageort des Vertrags zu eruieren und falls Sie keinen Ausweis finden, können wir den Vertrag mit Ausweiskopie hohlen. Also, gehen sie jetzt in das Zimmer und suchen sie den Ausweis.’ Ich wurde dabei immer lauter und hätte beinah ‚Heil’ geschrien, ich erinnerte mich an meine Statistenrolle als Nazi in einem italienischen Kriegsfilm, ein total brutaler Film, da hatten wir die italienischen Gefangenen einfach erschossen. Der Carabiniere schnaufte tief und lief ins Zimmer zu dem Toten, ich rieb mir ein bisschen Gel in die Hände und meine Schwiegermutter rief die Sekretärin an.

Der Tote hatte seinen Ausweis wohl sehr gut versteckt und um die Wartezeit zu überbrücken und die Situation etwas zu entspannen erzählte ich meiner Schwiegermutter einen Carabinieri-Witz. Die sind in Italien so beliebt wie bei uns die Burgenländerwitze. Mir fiel einer ein, den Berlusconi als Premier anlässlich der offiziellen staatlichen 150-Jahr-Feier der Carabinieri am Ende seine Rede vortrug. Er meinte, wenn er schon in einem Raum mit so vielen Carabinieri wäre, dann müsste er einfach einen Carabinieri-Witz erzählen, und der ging so:

Findet ein Carabiniere einen Pinguin und bringt ihn ins Kommissariat. Sagt der Kommandant ‚Was machst Du denn mit dem Pinguin hier, bring in ihn den Zoo’. Der Carabiniere verschwindet und später am Tag trifft ihn der Kommandant mit dem Pinguin in einem Cafe. Sagt der Kommandant ‚Was machst Du denn mit dem Pinguin hier, du solltest ihn doch zum Zoo bringen.’ ‚Da waren wir auch’, der Carabiniere, ‚dann sind wir ins Kino und jetzt essen wir ein Eis’.

Hier übrigens im Original:


Mit einem überglücklichen langen ‚Aaaaaaaaaahhhhhh’ als hätte er den Lottojackpot, kam der Carabiniere aus dem Totenzimmer gelaufen, knallte mit einer Siegesgeste den Ausweis des Toten auf den Tisch und wir konnten wieder gehen.



Jürgen Weishäupl

Palermo, Montag, 17. März 2020


Liebe Freunde,

heute sollte ein guter Tag werden, dachte ich mir. Nach der recht kritischen Morgenbetrachtung meines noch zart sprießenden Coronabartes, klickte ich voll freudiger Erwartung auf die Taste ‚Sendung nachverfolgen’, um mir anzusehen, wann wohl heute meine online bestellten Halbschuhe geliefert werden würden. Ein Schrecken durchfuhr meinen Körper:. ‚Sendung vom Empfänger abgelehnt’ stand da, Uhrzeit 8:42. Wut und Schuldbewusstsein mischten sich, denn um die Uhrzeit lag ich noch im Bett. Die Hotline anzurufen war die spontane Reaktion, die zur Erkenntnis führte, dass man italienische Hotlines mit einem österreichischen Handy nicht anrufen kann.

Es musste etwas geschehen, irgendwas. Eine Zeitung kaufen, zum Beispiel. Nach langem innerfamiliärem Abwägen, ob es das Kontaminierungsrisiko wert wäre, in einer heutigen Zeitung veraltete Sachen von gestern zu lesen, setzten sich mein Wagemut und meine Abenteuerlust durch, verstärkt durch die Tatsache, dass ich einen ganzen Sack von Schutzmasken bei meiner Flucht aus Österreich mitbrachte und auf einen großen Pool an Desinfektionsflaschen zurückgreifen konnte. Es war die richtige Entscheidung: draußen erwartete mich Vogelgezwitscher statt Zweitaktgestotter, von den Balkonen winkten mir Kinder zu, und vermummte Menschen wichen mit hoffnungsvollen Blicken weiträumig aus. Mit wehmütigen Augen schaute ich in die Auslage eines Schuhgeschäfts: da standen sie zu hunderten nebeneinander, die Paare meiner Begierde, so nah und doch unerreichbar. Ich machte mich schon auf in Richtung Zeitungskiosk, als ich bemerkt, dass ein Mensch zur Tür des Schuhgeschäfts redete. Wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellte, stand in der halbgeöffneten Tür ein weiterer Mensch. Ich nahm all meinen Mut zusammen und näherte mich vorsichtig und fragte unterwürfig, ob es wohl möglich wäre Schuhe zu kaufen. Nein, das wäre verboten, sagte grad heraus der Mann in der Tür, während der andere zurückwich um den Schutzabstand von mindesten einem Meter zu mir zu wahren. Ich setzte meinen besten austro-italienischen Akzent auf, zeigte auf meine Pelzstiefel und klagte Ihnen mein Leid von wegen Schweißfüssen und Finnland. Es schien zu wirken. Der Mann auf Sicherheitsabstand sagte zum Mann in der Tür: Dieser Mensch ist in einer Notlage, wir müssen ihm helfen. Etwas zögerlich öffnete der Mann in der Tür diese nun ganz und stellte klar, dass er mir unmöglich einen Beleg ausstellen könne. Ich antwortete mit der sizilianischen Scheiß-der-Hund-drauf-Geste und betrat den Laden, nachdem der Mann draußen erst noch die ganze Umgebung nach vielleicht irgendwo herumstreunenden Ordnungshütern mit seinen zusammengekniffenen Augen abtastete. ‚Giù la testa’, also ‚Kopf nach unten’, sagte er mir und gebückt folgte ich ihm wie durch Schützengräben durch das brusthoch aufgestellte Schuhkartonlabyrinth zu einem sicheren und von außen uneinsichtigen Bereich des Schuhgeschäfts, während sein Komplize draußen vor der Tür unauffällig Schmiere stand. Der Schuhgeschäftsmann ging jetzt wieder aufrecht, als ob er irgendetwas ordnen würde, durch das Geschäft und brachte mir mehrere in meiner Größe vorhandene Schuhe. Trotz des Halbdunkels, denn sicherheitshalber schaltete er das Licht nicht an, wurde deutlich sichtbar, was einem in einen Schuhgeschäft sonst total peinlich ist: nämlich die Schweißflecken auf den Socken, welche in dieser besonderen Situation aber meine Notlage erst so richtig verdeutlichten. Dennoch nahm ich das erste Paar und fragte, ob ich sie gleich anlassen könne. Klar, aber er würde mir jetzt die Schuhe nicht in einen Karton geben - das wäre zu auffällig -  sondern einfach in einen Sack. Gebückt schlichen wir zurück bis zur Kassa hinter der wir uns beide verschanzten und das Geldgeschäft erledigten. Der Komplize draußen gab uns ein Zeichen, dass die Luft rein wäre, und mehrfach ‚Grazie’ murmelnd verließ ich das Schuhgeschäft und fing an, die Titelmelodie von ‚Giù la testa’ von Ennio Morricone durch meine Schutzmaske zu pfeifen, die mir seit der diesbezüglichen Aufforderung nicht mehr aus dem Kopf ging. Auf Deutsch heißt dieser zweite Teil der Amerika-Trilogie von Sergio Leone übrigens ‚Todesmelodie’, auch passend für diese Zeit, dachte ich mir, jeden Schritt in meinen neuen Schuhen freudig betrachtend.

Und weil es einfach ein super Lied ist, möchte ich Euch diese Konzerteinspielung aus Venedig nicht vorenthalten:




Jürgen Weishäupl

Palermo, Freitag, 13. März 2020


Liebe Freunde,

gestern hab ich das Ländle verlassen und bin anstatt nach Finnland nach Palermo geflogen. In Finnland hätte ich mich im Auftrag von Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald mit Kulturmenschen aus ganz Europa getroffen, die gerne mal Kulturhauptstadtmacher werden wollten, es aber nicht schafften oder es aber für die Zukunft probieren und von uns Nicht-Gewinnern gerne wissen wollen, was wir da wohl falsch gemacht haben. Wir hatten dann eine Videokonferenz. Auch die Kolleg*innen aus St. Pölten waren online. Die wissen eigentlich selber nicht, warum sie jetzt bei dieser Gruppe sind, denn sie haben ja nichts falsch gemacht. Irgendwie geht’s uns da allen gleich …

Das Glück hier in Palermo, die Coronazeit auszuharren, ist sicher das Wetter. Die Sonne scheint, es hat über 20 Grad, man setzt sich auf den Balkon und hört plötzlich von allen Balkonen aus Leute singen und schreien. Man denkt OK, jetzt werden doch alle zu Zombies und springen gleich vom 10. Stock auf die Straße und rennen dann los, aber nein, es ist eine WhatsApp-Gruppe, die zum gemeinsamen Singen von den Balkonen aufgerufen hat. Nur blöd, dass sie sich nicht auf ein Lied einigen konnten. Morgen probieren sie es nochmals. Da ist es einfacher, jeder soll einfach klatschen.

Gestern wurden alle Geschäfte, Restaurants und Bars geschlossen und man darf nur noch mit einer gültigen Zirkulationsbescheinung auf die Straße, die man sich in Italien zum Glück selber ausstellen kann. Es gibt hier die sogenannte ‚autocertificazione’, also die Selbstbestätigung. Das gibt es hier schon solange es Behörden gibt. Da die Behörden hier nicht funktionieren und man nie den Zettel, den man grad braucht, irgendwo bekommt, kann man sich so eine Selbstbestätigung selber ausstellen. Zum Beispiel, dass man da oder dort gemeldet ist oder den Führerschein der Klasse C hat, wenn man grad mit einem LKW unterwegs ist. Diese Selbstbestätigung gilt wie das Original, jede Behörde und jeder Polizist akzeptiert das, vor allem wenn es eine offizielle Selbstbestätigung ist. Damit diese Selbstbestätigung besser ausschaut, gibt es nämlich eine eigene Behörde, das ‚ufficio di autocertificazione’, also das ‚Amt für Selbstbestätigung’. Da kann man sich dann auf einer schönen Vorlage alles selber bestätigen, dann klebt man eine Stempelmarke drauf und kriegt von der Behörde einen schönen Stempel und eine Unterschrift. Das fand ich in der Jugend wunderbar. Man kam zu einem Rendezvous mit einer offiziell bestätigten Selbstbestätigung, dass man in die jeweilige Dame verliebt wäre. Das kam immer gut an. Jetzt kann man sich so eine schöne Vorlage im Internet herunterladen, ausfüllen und ausdrucken, warum man unbedingt auf der Straße herumlaufen muss. Wer ohne so eine Selbstbestätigung in den Supermarkt geht, wird wieder heim geschickt: man möge sich doch erst eine Selbstbestätigung machen, dann könne man ja wieder kommen, alles soll ja seine Ordnung haben. Ich habe mir eine solche Selbstbestätigung heruntergeladen und ausgefüllt, als Grund gab ich an, die leeren Straßen filmen zu wollen, damit ich das meinen Freunden im Ländle zeigen kann, was sie ab nächste Woche erwartet, doch stand ich leider im Stau. Also ich muss das relativieren, für Palermo würde man das zähflüssigen Verkehr nennen, aus Ländlesicht wäre es ein Stau. Leider schaffte ich keine Bilder von menschleeren Straßen zu schießen und fuhr wieder heim.

So rief ich meinen bayrischen Freund in Palermo an und fragte, wie es ihm ginge. ‚Scheena Schaas’, meinte er, alle Kneipen dicht, aber es wäre OK, er hätte genügend Bier zu Hause, ich solle doch vorbeikommen und als Nachsatz, ‚wenns die aufhoiten, sogst du suachst a Apotheken’. Er wusste wohl nichts von meiner Selbstbestätigung, die ich nicht mal brauchte, denn keiner hielt mich auf. Schade.

Lange hielt ich es draußen aber eh nicht aus, denn ich hasse Schweißfüße. Die bekomme ich aber unweigerlich in meinen dicken Pelzstiefeln, die ich mir zusammen mit langen Unterhosen, Anorak, Fäustlingen und Rollkragenpullovern für Finnland und die prognostizierten -20° C eingepackt hatte. Ich hab mir jetzt Halbschuhe im Internet bestellt.

Für alle, die jetzt Urlaub in Italien machen wollen, hier ein Informationsvideo der WHO über die ‚autocertificazione’:


Die praktischen Hinweise sollte man sich aufmerksam anhören, da der Urlaub sicher länger wird, denn der letzte Bundesflieger ging heute von Rom über Venedig zurück nach Wien. Das österreichische Konsulat in Mailand rief mich heute an, falls ich doch zurück wolle, würde heute der Flieger gehen und ich könnte dann in Wien für 2 Wochen in Quarantäne. Da hätte ich wenigsten in meinen Pelzstiefeln nicht so geschwitzt, jetzt geh ich halt barfuß auf den Balkon und beklatsche meine schöne ‚autocertificazione’.


Jürgen Weishäupl