Palermo, Sonntag 5. April 2020


Liebe Freunde,

jetzt sitz ich auf meiner Insel im Mittelmeer und denke plötzlich an Zuhause, ans Hoamatle, oh Hoamatle. Dabei schau ich mir die ganzen Kinderfotos meiner Schulfreunde auf Facebook an, wo überall drunter steht ‚Challenge angenommen’. Oh Gott, denke ich, schon wieder eine Challenge und denke verängstigt daran zurück, als mich der Bürgermeister von Triest in so einer Challenge nannte und ich mir zum Gaudium der lokalen Medien einen Eiskübel über den Kopf schütten musste. Jetzt könnte ich nicht mal teilnehmen, meine Kinderfotoalben sind ja alle daheim. Da bleibt einem nichts anderes übrig als ohne Fotos in den Kindheitserinnerungen zu stöbern. Und da fallen mir sofort Feuerwehrfeste ein. Die gab es in meiner Kindheit zuhauf. Man nannte einfach alles Feuerfest, egal ob es jetzt das ‚Zeltfest des FC Unterfeld’ oder das ‚Zeltfest der Lauteracher Pfadfinder war’, man sagte einfach immer ‚Feuerfest’. Das steht für Qualität und ist wahrscheinlich ähnlich wie beim Papiertaschentuch. Da sagt man auch ‚Hosch a Tempo?’ und setzt verwundert hinzu ‚Oh, it’s a Feh’.  Feuerwehrfeste verbinde ich sofort mit dem Song ‚Frau Meier’

Frau Meier, Frau Meier,
hot gelbe Unterhosen an,
mit rote Mascherln dran,
ja das ist schön.

Das Lied entfachte schon in meiner Kindheit die wildesten Fantasien, das mit der gelben Unterhose konnte ich mir vorstellen – aber wo sind dann dort die roten Mascherl dran? Bis heute grüble ich darüber nach. Außer an gelbe Unterhosen denke ich bei Feuerwehrfesten auch immer an unseren Dorftrottel. Also wir hatten eigentlich zwei Dorftrottel, der eine ging immer auf Feuerfeste, der andere immer in die Sonntagsmesse. Der, der auf die Feuerwehrfeste ging, konnte reden und war groß, sehr groß, er hatte rote Haare und einen immer roten Kopf: daher nannte man ihn auch den Sozi. Andere Zuschreibungen wie Mostschädel oder Suffkopf verband ich daher viele Jahre lang mit dem Sozialismus. Während also der Sozi riesengroß war, war der andere Dorftrottel, klein, sehr klein sogar und redete nicht. Wenn er mal einen Laut von sich gab, dann war das irgendein unverständliches Gebrummel. Meine Großmutter erklärte mir auch, was passiert war: Als er klein war, wurde er von einem Auto überfahren und da ist ihm das Hirn ausgeronnen und weil sie im Krankenhaus kein menschliches Hirn hatten, hat man ihm dann ein Kalbshirn hineingegeben. Darum heißt er auch Kalb. Eh logisch. Darum kann er auch nicht mehr reden, sondern das ist also ein Muhen. Doch das tat er fast nie, wenn man ihn grüßte, hat er nie zurückgemuht, das tat er nur, wenn wir ihn mit Steinschleudern beschossen. Dann hüpfe er auf seinen Hinterfüßen herum und muhte uns zu.

Der Sozi dafür redete gerne und immer. Auch, wenn er ganz allein war, lange bevor es Handys gab. Er war auch richtig beliebt. Wenn er auf ein Feuerwehrfest kam, dann gab es gleich ein Gegröle und alle winkten ihm zu. Egal wo er sich hinsetzte, man spendierte ihm sofort ein Bier. Einmal setzte er sich zu uns an den Tisch und ich kratzte mein Taschengeld zusammen und kaufte ihm ein Bier, weil ich dachte das gehört sich so. In der Musikpause schob man dann den Sozi immer auf Bühne, und dort wo vorher der Bürgermeister das Feuerfest eingeweiht hatte, durfte dann der Sozi reden. An den Inhalt der Reden kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das ganze Feuerwehrzelt konnte sich vor lauter Lachen nicht halten. Das wurde nur noch gesteigert, wenn es ihn von der Bühne runtergebrackt hatte, das passierte immer wieder mal, dann musste man den Sozi aus dem Schlamm ziehen – und er bekam unter großem Beifall ein nächstes Bier.

Prost



Jürgen Weishäupl

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